Limerick
Was ist ein Limerick? – Oder die Kluft zwischen Theorie und Praxis
Der Limerick ist ein kurzes, scherzhaftes Gedicht in Reimform. Seine Merkmale sind die Fünfzeiligkeit, das Reimschema aabba, die spezielle anapästisch-daktylische Rhythmik und die Pointe am Schluss, d.h. ein überraschendes Ende.
Die besten und einprägsamsten Limericks haben eine starke Pointe, nutzen nur saubere Reime und halten Reimschema sowie Rhythmik vollkommen ein. Welche von den folgenden Limericks dazu gehören, findet ihr sicher selbst heraus.
Reimschema
Das Reimschema ist aabba, das heißt, die erste, zweite und fünfte Zeile schließt mit demselben Reim ab. Die dritte und vierte Zeile hat einen eigenen Reim.
Rhythmik bzw. Versmaß
Die Zeilen eins, zwei und fünf weisen drei betonte Silben auf; die Zeilen drei und vier sind kürzer und haben nur zwei betonte Silben.
Zwischen zwei Betonungen innerhalb einer Zeile liegen zwei unbetonte Silben. Jede Zeile beginnt mit einer unbetonten Silbe (sehr häufig) oder mit zwei (seltener). Enden kann eine Zeile mit einer Betonung (häufig), mit einer unbetonten Silbe (häufig) oder auch mit zwei unbetonten (seltener).
Eine ungleiche Zahl von Silben in Zeilen mit gleichem Reim sollte, wenn irgend möglich, vermieden werden. Es ist aber statthaft, die Zeilen des einen Reims mit zwei unbetonten Silben zu beginnen, die Zeilen des anderen Reims jedoch mit nur einer.
Formvollendeter ist ein Limerick allerdings, wenn die Zahl der unbetonten Silben am Zeilenanfang für alle fünf Zeilen gleich ist.
Folgende Darstellung verdeutlicht die Rhythmik (mit da ist eine unbetonte, mit di eine betonte Silbe bezeichnet):
(da)dadida dadida dadi(da)(da)
(da)dadida dadida dadi(da)(da)
(da)dadida dadi(da)(da)
(da)dadida dadi(da)(da)
(da)dadida dadida dadi(da)(da)
Die meisten Limericks haben einen Ort, eine Region etc. als Reimwort am Ende der ersten Zeile. Eigentlich sollten es reale Orte sein, aber bei klangvoll-fiktiven Orten wie Dong (s.u.) kann man aus Gründen der wunderbaren Reime mal eine poetische Ausnahme machen.
Übersicht:
- Exklusiv-Interview mit Gregor Limerick
- Drei englische Limericks und sieben deutsche von Eugen Roth
- 101 Limericks zum 90.- 100. Geburtstag meiner Mutter
Wann ist ein Limerick samt Pointe witzig und gelungen? Das müsst ihr für euch selbst entscheiden. Falls ihr mit allen meinen Limericks unzufrieden seid, dann schreibt doch einfach selbst welche. Schlechte Limericks gelingen immer, gute dagegen schon viel seltener.
Merke: Schwer ist leicht was.
Kurz zu Rechtschreibung und Interpunktion:
Jedes Wort am Zeilenanfang wird groß geschrieben. Auf Interpunktion wird weitestgehend verzichtet, außer bei wörtlicher Rede, Fragen und Ausrufen sowie innerhalb einer Zeile.
- Exklusiv-Interview mit Gregor Limerick:
Wie lange quält Sie schon der Tick?
Schon immer, sagt Herr Limerick
Ist es ein Tick oder gar ein Trick?
Ein Tricktick, sagt Herr Limerick
Sitzt jeder Schalk nur im Genick?
Er wandert, sagt Herr Limerick
Limern Sie jeden Augenblick?
Auch nachts und draußen, sagt Herr Limerick
Und wenn ich Sie aufs Zimmer schick?
Das nützt nichts, sagt Herr Limerick
Suchen Sie im Fluss nach Schlick?
Ich bin nicht dumm, sagt Herr Limerick
Finden Sie Quarz und Glimmer schick?
Nur Feldspat, sagt Herr Limerick
Wann ist ein guter Schwimmer dick?
Als Flusspferd, sagt Herr Limerick
Wann macht’s bei Ihnen meistens Klick?
Beim Fotografieren, sagt Herr Limerick.
Lesen Sie Newsweek oder Quick?
Meist Shakespeare, sagt Herr Limerick
Und wie steht’s dann mit der Politik?
Die meid‘ ich meist, sagt Herr Limerick
Was nehmen Sie am liebsten in Blick?
Soziales Engagement, sagt Herr Limerick
Auf wen haben Sie denn einen Pik?
Auf Donald Trump, sagt Herr Limerick
Wem wünschen Sie um den Hals den Strick?
Den Pädophilen, sagt Herr Limerick
Und haben Sie nicht Sorge, dass
Der Stumpfsinn wächst durch Ihren Spaß?
Die Dummheit, die verschlimmer ick
Nicht spürbar, sagt Herr Limerick
Denn Blödheit ist ein schlimmer Tick
Ärger als der dümmste Limerick
2. Als Einstieg 3 englische Limericks und 7 von Eugen Roth
- R. Ormerod
There was a young student called Fred,
who was questioned on Descartes and said:
„It’s perfectly clear
that I’m not really here,
for I haven’t a thought in my head.“
William Cosmo Monkhouse
There was a young lady from Niger
Who smiled as she rode on a tiger
They returned from the ride
With the lady inside
And the smile on the face of the tiger
Gregor Schröder
There was a young sailor from Brighton,
Who said to his girl, „You’re a tight one.“
She replied, „Bless my soul,
You’re in the wrong hole;
There’s plenty of room in the right one.“
7 Limericks von Eugen Roth
Wir wähnen, als falsche Bemesser
Den anderen geh’ es viel besser
Doch mancher, dem’s Herz bricht
Der zeigt uns den Schmerz nicht
Dafür die Fassade viel kesser
Der Mensch sagt oft zwar so leichthin
– Und doch, die Wehmut beschleicht ihn –
Der Tod treffe jeden!
Doch, noch unter’m Reden
Hofft er, er träf’ nur vielleicht ihn
Die Presse, die oft voller Tücken
Macht gern Elefanten zu Mücken
Noch lieber verfährt
Sie umgekehrt
Gilt’s Wahrheit zu unterdrücken
So mancher, der heut’ noch verlacht ist
Schon morgen vielleicht an der Macht ist
Drum zieht es der Feige
Wohl vor, dass er schweige
Damit er mit keinem verkracht ist
Gut wissen die Herrn zu vertuschen
Was alles dreist sie verpfuschen
Das Volk wird’s schon fressen
Und wieder vergessen
Hauptsache bleibt: Wird es kuschen?
Wir wähnen, als falsche Bemesser
Den anderen geh’ es viel besser
Doch mancher, dem’s Herz bricht
Der zeigt uns den Schmerz nicht
Dafür die Fassade viel kesser
3. 101 Limericks zum 90.- 100. Geburtstag meiner Mutter
Du bist jetzt grad 90 Jahr
Hast prachtvoll seidenes Haar
Wohnst in Norden am Meer
Kamst von Bonn einst hierher
Hast ‘ne Enkel- und Urenkelschar
Du hast schon so vieles erlebt
Wobei jede andere gebebt
Doch du bleibst immer cool
Nichts reißt dich vom Stuhl
Dein Elan wird von vielen erstrebt
Dein größtes Hobby ist Reisen
Das Beste, um nicht zu vergreisen
Griechenland und Türkei
Stets warst du dabei
Selbst Irak und Iran tat’st bereisen
Nach Ägypten und Tunesien
Flogst du, als wär’ nichts gewesien
Spanien, Portugal
Morokko, ganz egal
Es fehlt jetzt nur noch Indonesien
Gleich zweimal warst du in Mexiko
Guatemala und Bolivien sowieso
Mit Honduras und Peru
Warst du fast schon per du
In Kolumbien erging es dir ebenso
Du bist ein Fremdsprachen-Ass
Übersetzen macht dir richtig Spass
Sei es Englisch, Französisch
Italienisch und Spanisch
Machst manchen Dolmetscher blass.
Du erzählst für dein Leben gern
Geschichten von nah und von fern
Doch du kriegst keinen Schreck
Ist der Faden mal weg
Am Ende kommst stets du zum Kern
Oft pilgertest du nach Kevelaer
Mit Hatto, mit Gego und Enkeln gar
Du hieltest gut mit
Trotz gewaltigem Schritt
Und sehr viel jüngerer Pilgerschar
Sehr besorgt warst um unser Wohl
Gabst uns Lebertran und Sanostol
Marmelade aus Quitten
Auf die Butterbrotschnitten
Als Trost gab‘s Wirsing und Rosenkohl
Mit uns hattest du’s nicht immer leicht
Aber dank dir haben wir viel erreicht
Hielten dich auf Trapp
Jahr auf, Jahr ab
Deine Liebe zu uns war niemals seicht
Mit elf hatt‘ ich ‘ne Sucht nach gelb
Die Ärzte wussten da keine Help
Ihnen war es ein Graus
Du kuriertest mich zu Haus!
Gesund wurd‘ ich da fast von selb
Deine Patin war eine Prinzessin
Eine Hohenzollern und keine Hessin
Von Thurn und Taxis geboren
Ist der Kontakt auch verloren
So bleibt Porzellan dir statt Messing
Früher fuhrst du Käfer statt Opel
Denn Opel fährt ja jeder Popel
Grün war er, nicht schnell
War immer zur Stell’
Wär’ gefahren bis Konstantinopel
Gern kurst du in Bad Wörishofen
Hockst niemals gern hinterm Ofen
Kneippst dich super fit
Machst alles dort mit
Sogar mit Kurschatten schwofen
Dem Alkohol bist du nicht abgeneigt
Was sich an den leeren Flaschen zeigt
Ob Metaxa oder Wein
Da sagst du nicht nein
Hast öfter Sekt dir gar abgezweigt
Für uns hast du stets ein offenes Ohr
Das schätzen alle hier nach wie vor
Gibst Liebesschläge zuhauf
Manche warten schon drauf
Man fühlt sich dann wie neu geboren
Du liest gern ganz viele Bücher
Wirst dadurch klücher und klücher
Du bist schon so kluch
Schriebst dein Leben als Buch
Wickelst alles in trockene Tücher
So mancher nimmt viele Tabletten
Glaubt damit Gesundheit zu retten
Du selber nimmst keine
Nein, nicht mal zum Scheine
Ist gesünder, wollen wir wetten?
Du bleibst immer ein Optimist
Was total bewundernswert ist
Lässt dich nie unterkriegen
Oder dich gar verbiegen
Drum bleib immer so, wie du bist
Sollst mindestens 100 Jahr werden
Oder älter! Bleib lang hier auf Erden
Steig noch nicht in die Kist’
Wenn du dreistellig dann bist
Das wird ein Freudenfest werden!
Dem Schiller seine Kraniche oder limerickfreier, lyrischer Introitus für Mutti zum 95.
Wer zählt die Völker, nennt die Namen
Die gastlich hier zusammenkamen
Die Rheinländer und auch die Bayern
Denn die verstehen was vom Feiern
Natürlich kommen auch die Hessen
Doch nicht allein, um hier zu essen
Badenser sind jetzt schrecklich grün
Das ist ganz einfach opportün
Ende der limerickfreien Zone
Wir kommen von überall her
95 bist du und mehr
Wir fragen uns bang
Geht‘s wirklich noch lang?
Noch bis 100, wenn nicht noch viel mehr!
Wir seh‘n dich in alter Frische
Du sitzest entspannt hier am Tische
Denkst dir dein Teil
Hast mehr als Kurzweil
Dieweil ich die Reime erwische
Du bist unser Fels in der Brandung
Wir sind für dich die Umrandung
Du bist hier in Norden
Verdienst jeden Orden
Kaum gelingt meiner Lyrik die Landung
Dein Alter ist schon legendär
Dein Leben ganz spektakulär
Hast den Kaiser geseh‘n
Die Paten-Prinzessin war schön
Alles andere ist schon fast sekundär
Zwei Kriege hast du überlebt
Obwohl die Welt dabei erbebt’
Hast uns Kinder erzogen
Hattest raus den Bogen
Unser Bestes hast du dabei erstrebt
Wir waren nicht ganz pflegeleicht
Haben trotz alledem etwas erreicht
Das woll‘n wir dir danken
Wiesest uns in die Schranken
Sind jetzt ernsthaft und nur ganz selten seicht
Für uns hast du stets ein offenes Ohr
Das schätzen wir alle nach wie vor
Gibst Liebesschläge zuhauf
Manche warten schon drauf
Man fühlt sich wie neu geboren
Jetzt bist du ruhig und gelassen
Zählst im Schrank die zahllosen Tassen
Alle Tassen noch da
Ist ja wunderbar
Du wirst es dabei belassen
Im Geiste bist du noch super fit
So mancher kommt da schon nicht mehr mit
Bist ein Sprachengenie
Ein Bess‘res war nie
Dein Sprachtalent folgt dir auf Schritt und Tritt
Du bist jetzt Rollator mobil
Ökologisch unglaublich stabil
Das kostet kein‘ Sprit
Hält dich auch noch fit
Und hat in jedem Fall Stil
Als Rheinländerin hast du Humor
Der geht auf jeden Fall vor
Et kütt wie et kütt
Ganz wie in der Bütt
Dir macht dabei niemand was vor
Der Schluss des Gedichts ist niemals leicht
Denn kaum hat man endlich das Ende erreicht
Stellt man fest voller Schreck
Die Gedanken sind weg
Doch ein Lehrer hier wahre Größe zeicht
Er macht aus der Not eine Tugend
Verweist lächelnd auf seine Jugend
Ist das Ende auch offen
Nie er betroffen
Ausreden hat er genugend
Trotzdem muss er finden ein Ende
Verzweifelt ringt er die Hände
Ist das Ende dann da
Schreien alle Hurra
Dass wackeln vom Lärm noch die Wände
Es ist nicht das letzte der Treffen
Mit Enkeln und Kindern und Neffen
Die Urenkelschar
Stets größer noch war
Das kann man kaum mehr übertreffen
So lasst uns das Glas jetzt erheben
Unsre Omi soll himmelhoch leben
Das Feierende ist fern
Wir haben uns ja so gern
Was könnte es Schöneres geben!
Für Mutti zum 96. Geburtstag – im biblischen Alter und noch kein Ende in Sicht !
So manchen Vers hab ich gedroschen
Der Wert lag oft unter ‘nem Groschen
Sogar unter ein’m Cent,
Weil fast jeder ihn kennt
Fast denk ich, ich halte mei Goschen
Was hab ich schon alles geschmiedet
Dabei Geist und Nonsens befriedet
Doch nach all den Jahren
Zerr‘ ich die Point‘ an den Haaren
Herbei, die sich dann verabschiedet
Was hab ich nicht alles gedichtet
Das Versmaß her- und hingerichtet
Nichts war mir zu platt
Fast war ich schachmatt
Und mein Ruf beinahe vernichtet
Doch des Dichters Ruf währet halt immer
Drum dichtet er schlimmer und schlimmer
Erst wenn er ganz dicht
Und die Lyrik gericht’
Weiß er, schlimmer geht es immer
Was soll man zu Mutti noch sagen
Und zu all ihren Lebenstagen?
Sie ficht es nicht an
Ich denk mir, ja dann
Kann sie ja noch manches vertragen.
Wir treffen uns jetzt schon mal jährlich.
Da frage ich mich doch ganz ehrlich
Leb ich noch so lang?
Mir wird schon ganz bang
Das wär’ alles andere als herrlich
Wir kommen aus ganz Deutschland her
Und werden dabei immer mehr
Doch auch älter gar
Trotz der Kinderschar.
Altern ist wohl gar nicht so schwer
Deine Urenkelschar wächst ganz prächtig
Sandra und Thomas bemühen sich mächtig
Ihr Idol ist die Bibel
Bei der Vornamensfibel
Sie machen‘s wohl immer einträchtig
Du besuchst noch gern deine Enkel,
Hast dabei stets Hoppu am Henkel.
Selbst nach Freiburg du fährst
Als wenn 50 du wärst
Da klopft man sich fast auf die Schenkel
Du trinkst gern ein Gläschen am Abend
Denn das ist erquickend und labend
Sind‘s gar zwei oder drei
Was ist schon dabei?
Du meinst, das ist gar nicht schadend
Sogar Kohlkönigin bist du geworden
Und das in dem friesischen Norden
Viel Kohl, viel Ehr!
Machst den Teller ganz leer
Bekamst dafür noch einen Orden
Du pilgerst sogar noch nach Kevelar
Wie in früheren Zeiten bald jedes Jahr
Ist der Mercedes auch mit.
Hältst du gar noch Schritt
Wir finden das einfach wunderbar
Sehr gerne isst mittags du aus
Gehst dafür früh aus dem Haus
Schafie, Reichshof, Goodewind
Das schaffst du geschwind
So lebst du in Saus und in Braus
Der Kirchgang ist für dich Pflicht
Du bist darauf ganz erpicht
Ob‘s stürmt oder schneit
Du bist allzeit bereit
Selbst wenn es gäb‘ keine Sicht
Du liebst am Abend den Krimi
Wenn‘s sein muss, schaust du auch Schimi
Sind die Morde auch schlimm
Nie packt dich der Grimm
Ohne gehst du nicht schlafen wie Mimi
Du liebst die Geselligkeit sehr
Feierst Feste, wie sie fallen, und mehr
Prostest jedem gern zu
Erst dann gibst du Ruh’
Du denkst dir, viel Feste, viel Ehr‘
Im Alter bist stets du gelassen
Hast trotzdem noch alle Tassen
im Schrank
Gottseidank!
Manchmal kann man es kaum noch fassen
Du sammelst Kaffeelöffel ohn’ Enden
Von jeder Weltstadt hältst du sie in Händen
Moskau, Lima, Mumbai
Berlin und Shanghai
Wo soll das mit den Löffeln noch enden?
Vielleicht wirst du uns all’ überleben
Drauf wollen wir jetzt einen heben
Auf die Mutti ein Hoch
Kriegt der Himmel ein Loch
Lernst du im Alter noch schweben
Für Mutti zum 97. Geburtstag – und immer noch kein Ende in Sicht !
Fast meint man, die Zeit bliebe stehen
Doch nein, sie ist am vergehen
Jedoch wohl nur für uns
für Hinz und für Kunz
Doch Mutti bleibt immer bestehen
Du überlebst alle Katastrophen
selbst meine gedrechselten Strophen
Was global geschieht
Schlägt dir nicht aufs Gemüt
Nichts lockt dich hervor hinterm Ofen
Selbst wenn dich rennt dein Enkel um
Du bist und bleibst du ein Unikum
Du stehst immer auf
Trotz der Schmerzen zuhauf
Scheinbar bringt dich nix mehr um
Was hab ich schon alles geschmiedet
Dabei Geist und Nonsens befriedet.
Doch nach all den Jahren
Zerr ich die Point‘ an den Haaren
Herbei, die sich dann verabschiedet
Was hab ich nicht alles gedichtet
Das Versmaß her- und hingerichtet
Nichts war mir zu platt
Fast war ich schachmatt
Und mein Ruf beinahe vernichtet
Doch des Dichters Ruf währet halt immer
Drum dichtet er schlimmer und schlimmer
Erst wenn er ganz dicht
Und die Lyrik gericht’
Weiß er, schlimmer geht es immer
Was soll man zu Mutti noch sagen
und zu all ihren Lebenstagen?
Sie ficht es nicht an
Ich denk mir, ja dann
Kann sie ja noch manches vertragen
Wir treffen uns jetzt schon mal jährlich
Da frage ich mich doch ganz ehrlich:
Leb ich noch so lang?
Mir wird schon ganz bang
Das wär’ alles andere als herrlich
Wir kommen aus ganz Deutschland her
Und werden dabei immer mehr
Doch auch älter gar
Trotz der Kinderschar
Altern ist wohl gar nicht so schwer
Für Mutti zum 99. Geburtstag – Jetzt geht’s erst richtig los oder: je oller desto doller!
Schon wieder – seit so vielen Lenzen
Darf ich dichten und dir Verse kredenzen
Was soll ich noch sagen
Nach Millionen von Tagen
Trotz lyrischster Kompetenzen?
Mein Lieblingsvers ist halt der Limerick
Den dichte meist ohne Kittel ick
Kaum sind die Vers’ rund
Sind vergangen paar Stund‘
Am End‘ tolle Verse stets zimmer ick
Vom Westen und Süden sind wir angereist
Der eine oder and’re bereits angegreist
Doch das stört hier keinen
Und wenn, dann nur einen
Und der wäre besser gleich abgereist
Der Weg hierher ist beschwerlich
Die vielen Staus ganz entbehrlich
Auch die Bahnfahrt ist lang
Nicht nur Kindern wird bang
Doch der Weg, er lohnt sich, ganz ehrlich
Dein Lebenswandel ist meist fortgesetzt,
Deine Altersweisheit stets wertgeschätzt
Du liebst den Trubel
Auch ganz ohne Rubel
Und behältst doch die Ruhe bis zuletzt
So leicht kann dich nichts mehr erschüttern
Es müsst’ schon ganz heftig gewittern
Du sitzt ganz cool
Auf deinem Stuhl
Wo andere aus lauter Frust twittern
Am meisten liebst du den Humor
Der kommt bei dir häufig vor
Er versüßt dir den Tag
Was auch kommen mag
Fühlst dich gut dich dann wie nie zuvor
Rheinländerin warst du so lange
Hältst deinem Wesen treulich die Stange
Et kütt wie et kütt,
Sagt man bei uns in der Bütt
Und et hätt noch immer jot jejange
Kaum triffst du auf der Straße Bekannte
Freunde oder auch Anverwandte
Sprichst freudig sie an
Hältst ein Schwätzchen sodann
Lachen ist bei dir eine Konstante
Du besuchst noch gern deine Enkel,
Hast dabei stets Hoppu am Henkel
Selbst nach Freiburg du fährst
Als wenn 40 du wärst
Verwandte geh‘n dir nie auf den Senkel
Deine Urenkel- u. Enkelschar ist riesig
Man sieht sie, selbst wenn es ist diesig
Sie wohnen verstreut
Haben das nie bereut
Nur wenige bleiben ganz hiesig
Du blickst zurück auf ein Leben
Erfüllter, als die meisten erstreben
Schriebst darüber ein Buch
Atemberaubend genuch
Mehr als du kann man kaum noch erleben
Weltgeschichte hast selbst du erfahren
Seit fast einhundert Jahren.
Monarchie, Diktatur
Kommt bei uns nicht mehr vur
Mit Demokratie sind wir bestens gefahren
Am Abend trinkst du gern ein Gläschen
Denn dafür hast du ein Näschen
Sind‘s gar zwei oder drei
Was ist schon dabei?
Es belebt deine alten Gefäßchen
Wenn du es gut mit uns meinst
Erzählst Geschichten von früher und einst
Wir hören sie gern
Kommst du nicht zum Kern
Wissen wir trotzdem, was du meinst
Ich könnte noch so viel berichten
Und dichten und dichten und dichten!
Mutti, bleib, wie du bist
100 Jahr du bald misst
Am End’ bist dennoch mitnichten
Für Mutti zum 100. Geburtstag – Same procedure as every year?
Mutti, jetzt bist du schon hundert
Was keinen von uns hier verwundert
Nur der Dichter ist irritiert
Aus früheren Versen er zitiert
Hoffentlich wird er trotzdem bewundert
Hat die Muse 100 Jahr’ je begleitet
Wobei Qualität voranschreitet?
Bei mir trifft’s stets zu
Eh‘r geb ich keine Ruh’
Niemals Skrupel mich dabei geleitet
Verse zerr’ ich herbei an den Haaren
(K)ein Wunder nach so vielen Jahren
Hauptsach’ am Ende es passt
Um den Verstand reim‘ ich mich fast
So kommt man zu Gedichten in Scharen
Schöne Worte man meist mit dem Mund ehrt
Was keinen von uns wirklich wundert
In der Wiederholung liegt die Kraft
Damit’s der letzte auch rafft
Normal nach einem Jahrhundert
Von Süd, Ost und West sind wir angereist
Die Hälfte von uns schon recht angegreist
Die andere ganz klein
So soll es auch sein
Niemand wird hier einfach nur abgespeist
Vielmehr wird er sehr gut unterhalten
Es sei denn jemand ruft: „Abschalten!“
Ich fänd‘ das nicht nett
Nichts mehr zu sagen ich hätt’
Doch bis dahin kann ich schalten und walten
Dein Lebenswandel ist recht fortgesetzt
Obwohl du dich längst hast zur Ruh’ gesetzt
Je ärger der Trubel
Desto größer dein Jubel
Dabei behältst du den Durchblick bis zuletzt
Deine Altersweisheit hilft dir fast immer
Wird’s bei andern auch schlimmer und schlimmer
Du sitzt in deinen Sesseln
And’re setzen sich in Nesseln
Doch das ficht dich an wirklich nimmer
Dein Humor ist scheinbar unendlich
Daran bist du leicht erkenntlich
Für Jammern und Streit
Hast du keine Zeit
Bei deinem Alter mehr als verständlich
Kaum siehst du Freunde, Bekannte
Oder auch liebe Anverwandte
Begrüßt du sie voll Freud’
Hörst dir an auch ihr Leid
Selbst wenn man‘s in Spanisch benannte
Deine Urenkel- u. Enkelschar explodiert
Nur Wenigen ist das so passiert
Selbst wenn Ururenkel in Sicht
Verwunderte dich das nicht
Da schon viele Rekorde du kassiert
Am Abend trinkst du gern Rotwein
Das belebt dich nicht nur zum Schein
Ein Gläschen in Ehren
Kann niemand verwehren
Leider gibt‘s das nicht auf Krankenschein
Du blickst zurück auf ein Leben
Rasanter, als die meisten erstreben
Wer’s nicht glaubt, liest dein Buch,
Mit Geschichten mehr als genuch
Soviel wie du kann man kaum noch erleben
Wenn du in Gesellschaft bist
Erzählst gern, wie’s einst gewesen ist
Kommst du mal ins Stocken
Sind wir nicht von den Socken
Wir kennen’s, auch wenn du was vergisst
Wer feiert mit dir in 50 Jahren?
Von uns Älteren wird das keiner erfahren
Vielleicht kommt dann dinner for one
Butler James muss ran
egal wie alt er an Jahren
James stolpert dann über’s Tigerfell,
So strapaziert er der ander‘n Zwerchfell
Same procedure every year
Silvester und dann auch hier
Man gewöhnt sich daran ziemlich schnell
Rosenmontag bist du nicht geboren
Doch hast ihn zum Geburtstag erkoren
Der rheinische Humor bleibt dir treu
Was immer auch sei
Den Spaß hast noch nie du verloren
Für uns bist du fast wie die Queen
Bekommst auch Lächeln und Winken gut hin
Ob’s stürmt oder schneit
Ihr seid allzeit bereit
Für euch wohl die beste Medizin