Regeln für gelungene Kommunikation und Gesprächsanalysen

Was ist Kommunikation?

Zunächst werden das bekannte 4-Seiten-Kommunikationsmodell von Schulz von Thun, die Grundregeln von Paul Watzlawick, Leitprinzipien für Trainings- und Coaching-Maßnahmen sowie Regeln für gelungene Kommunikation vorgestellt.

Danach folgen 6 Analysen von Gesprächssituationen, wobei sich die längeren Gesprächstexte (3-6) im Anhang als PDF-Datei finden. Am Schluss gibt es noch 3 bekannte Übungstexte von Loriot und Karl Valentin.

Gesprächsanalysen

1. Gespräch zwischen Jane und Vater 

2. Gespräch zwischen Ursel und Robert

3. Gespräch zwischen Eltern und Kindern über die Klassenfahrt nach Prag

Als PDF zum Ausdrucken

4. Familienszene im Wohnzimmer  Als PDF zum Ausdrucken

5. Am Abendessentisch der Familie Meyer  Als PDF zum Ausdrucken

6. Gabriele Wohmann: Ein netter Kerl (KG, 1978)  Als PDF zum Ausdrucken

 

Zwei Übungstexte:

7. Loriot: Das Ei (1977)

8. Loriot: Garderobe (1977)

Kommunikation ist der Austausch oder die Übertragung von Informationen / Nachrichten (=zusammenfassende Bezeichnung für Wissen, Erkenntnis, Erfahrung oder Empathie). Nach Schulz von Thun gibt es die folgenden 4 Seiten einer Nachricht:

4-Seiten-Kommunikationsmodell von Schulz von Thun

Das Modell erklärt, wie 2 Menschen sich durch ihre Kommunikation zueinander in Beziehung setzen bzw. sich äußern. Diese Äußerungen enthalten 4 Ebenen, auch „Seiten einer Nachricht“ genannt:

1. Sachebene: Worüber informiert der Sprecher?

2. Selbstoffenbarungsebene: Was gibt der Sprecher von sich kund?   

3. Appellebene: Wozu möchte der Sprecher den anderen veranlassen?

4. Beziehungsebene: Was hält der Sprecher vom anderen und wie ist deren Beziehung?

Kommunikation ist oft schwierig. Missverständnisse, Enttäuschungen, Konflikte und Zerwürfnisse sind in Familien, zwischen Partnern, Freunden, in Schulen, am Arbeitsplatz und sogar zwischen Ländern und Kulturen an der Tagesordnung. Manchmal sind Sie unzufrieden, wenn die eigene Kommunikation nicht funktioniert, obwohl Sie niemandem schaden oder verletzen wollten. Vielleicht befinden Sie sich sogar in einem Teufelskreis und wiederholen dasselbe Kommunikationsmuster wieder und wieder mit frustrierenden Ergebnissen.

Nach Paul Watzlawick, einem der einflussreichsten Theoretiker im Bereich der menschlichen Kommunikation und ihrer Störungen gibt es 5 Grundregeln (Ders.: „Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien“, 1967, S.50f.), die erklären, wie die menschliche Kommunikation und ihre Widersprüchlichkeiten funktionieren:

1. Man kann nicht nicht kommunizieren

Alles, was wir sagen, nicht sagen, tun oder nicht tun, übermittelt eine Nachricht. Das bedeutet, dass wir nicht entscheiden können, ob wir kommunizieren oder nicht. Kommunikation passiert verbal, nonverbal, explizit und implizit. Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass eine hochgezogene Augenbraue, ein abgewandtes Gesicht oder ein herablassender Blick (negative) Informationen an die andere Person übermitteln.

Beispiel: Der Manager fragt, wer das Meeting-Protokoll schreiben möchte. Julia senkt den Kopf und starrt auf ihren Laptop.

2. Inhalt und Beziehung

Jede Kommunikation hat zwei Aspekte: Inhalt und Beziehung. Der Inhaltsaspekt bezieht sich auf das „was“ der Botschaft: die Fakten. Der Beziehungsaspekt beschreibt, „wie“ der Sender seine Beziehung zu dem Empfänger der Botschaft sieht und wie er sie verstanden haben will, d. h. als Chef, Untergebener, Kollege, Gegner etc..

Die Beziehungsbotschaft ist stets das wichtigste Element. Gelingt die Kommunikation, nimmt der Empfänger den Sender so wahr, wie dieser wahrgenommen werden möchte, und beide sind sich über den Inhalts- und Beziehungsaspekt einig. Wenn wir unseren eigenen Tonfall, unseren Gesichtsausdruck und unsere Gesten wahrnehmen, erkennen wir schnell, dass wir mit verschiedenen Menschen unterschiedlich kommunizieren. Wenn eine Beziehung auf der Inhaltsebene schwierig ist, kann sie auch zu destruktiver Kommunikation führen.
Beispiel: John ist in einem Meeting nicht mit Roberts Argumenten einverstanden, da er ihn persönlich nicht leiden kann. Was immer Robert sagt, John ist stets anderer Meinung.

3. Interpunktion

Menschen interpretieren ihr eigenes Verhalten häufig als Antwort auf das Verhalten der anderen Person. Wer hat den Streit angefangen? Wer hat Recht? Beide Fragen werden normalerweise von den Beteiligten unterschiedlich beantwortet. Infolgedessen reden sie aneinander vorbei (Ehestreit oder harte Positionen zwischen Kollegen).

Jeder hat seinen eigenen Standpunkt bezüglich der Frage, weshalb der Andere das getan hat, was er getan hat. Da Kommunikation ein kontinuierlicher Zyklus ist, kann nicht (genau) zurückverfolgt werden, wie die Diskussion begonnen hat.

Beispiel: Die Assistentin vermeidet es, ein Gespräch mit ihrem Manager zu eröffnen, da dieser stets zusätzliche Aufgaben für sie bereithält und die Möglichkeit nutzt, Dinge anzusprechen, die verbessert werden könnten. Der Manager hält die Assistentin für passiv und „grollt“. Jedes Verhalten gründet auf dem Verhalten des Anderen.

Nur ein Wechsel der Perspektive kann die Situation ändern. Wer in der Lage ist, sich in die andere Person hineinzuversetzen, kann zwei Dinge erreichen: Erstens ist er in der Lage zu bemerken, dass die Argumente oder das Verhalten des Anderen nicht falsch sind.  Zweitens bewirkt er durch seine positiven Absichten, dass der Andere ehrlich ist.

4. Digital und analog (verbal, nonverbal)

Wir kommunizieren gleichzeitig digital und analog. Digitale Elemente sind gesprochene Worte und universell verstandene Gesten, wie ein Lächeln, Tränen etc. Die Äußerung: „Er ist groß“ ist eine digitale Botschaft. Analoge Elemente sind oft nonverbal.

Bei der Aufforderung, sich zu setzen, indem man auf einen Stuhl zeigt, oder eine Geste der Hand, um zu zeigen, dass jemand groß ist, handelt es sich um ein analoges Element. Wenn sich analoge und digitale Botschaften widersprechen, scheitert die Kommunikation aller Wahrscheinlichkeit nach.
Beispiel: Manager: „Wir haben genügend Zeit, um den nächsten Projektschritt zu diskutieren“. Er schaut jedoch alle fünf Minuten auf die Uhr.

5. Symmetrisch oder komplementär

Kommunikation ist je nach dem zwischen den Beteiligten herrschenden Machtgleichgewicht „symmetrisch“ oder „komplementär“. In symmetrischen Beziehungen bewegen sich die Beteiligten auf Augenhöhe, z.B. zwei Projektmanager, die sich darüber unterhalten, wie sie am besten mit dem engen Zeitrahmen umgehen.

In einer komplementären Beziehung beruht die Kommunikation auf Unterschieden infolge von Status, Ausbildung, Hierarchie, Aussehen etc. Mögliche Beispiele sind ein Auszubildender und ein langjähriger Ausbildungsbeauftragter, ein Firmeninhaber und sein Assistent oder eine extrovertierte und eine schüchterne Person.

Beispiele von Störungen:

Symmetrische Eskalation: Jeder versucht, den Anderen zu übertrumpfen und eine überlegene Position einzunehmen.
Komplementäre Trennung: Jeder betont seine eigene Position, einer in die eine Richtung und der Andere in die entgegengesetzte.

Gute Kommunikation ist entscheidend für befriedigende menschliche Beziehungen und Interaktionen. Jeder schafft seine eigene Realität und sein eigenes Glück sowie die Bedingungen dafür, wie sich unsere Kommunikation entwickelt.

Für Trainings- und Coaching-Maßnahmen sind folgende Leitprinzipien entwickelt worden

  • Gute Kommunikation ist nicht für jeden eine Selbstverständlichkeit
    Jeder von uns verwendet Worte, Ausdrücke und hat Einstellungen, die für ihn spezifisch sind. Sie haben für einen Anderen nicht unbedingt die gleiche Bedeutung. Aus diesem Grund sind Missverständnisse in gewissem Sinne „normal“.
  • Unsere Wahrnehmung der Realität ist nicht die Realität
    Unser Verhalten gegenüber der Welt wird nicht von dem diktiert, was ist, sondern von unseren Wahrnehmungen. Da diese durch unsere persönlichen Bezugssysteme beeinflusst werden, kann niemand die „richtige“ Sicht für sich beanspruchen. 
  • Jede Botschaft hat zwei Ebenen: Inhalt und Beziehung
    Jede Kommunikation übermittelt zwei Arten von Informationen. Eine betrifft Fakten, Gefühle und Meinungen: Der Inhalt. Die andere sagt etwas über das Verhältnis der Beteiligten aus: Die Beziehung. Die Beziehung dominiert häufig den Inhalt.
  • Die Ergebnisse unserer Kommunikation sind die Antworten, die wir erhalten
    Reaktionen auf unsere Kommunikation helfen uns, deren Angemessenheit zu beurteilen. Wenn unsere primären Erwartungen nicht erfüllt werden, liegt es hauptsächlich an uns, den Kommunizierenden, einen anderen Ausdrucksmodus zu wählen.
  • Jedes Verhalten hat seinen Ursprung in einem positiven Motiv für das Ich
    Menschen möchten stets ihre grundlegendsten Bedürfnisse befriedigen. Wenn ihnen das nicht auf positive Weise gelingt, versuchen sie – am häufigsten unbewusst – auf eine negative Weise erfolgreich zu sein.
  • Alle Beteiligten sind für das Beziehungsproblem verantwortlich
    Jedes Kommunikationsproblem ist die Folge einer Beziehungsstörung zwischen allen Beteiligten. Niemand kann das Problem alleine lösen.

Hier nun stichwortartig die wichtigsten Grundregeln für gelungene Kommunikation, die auch bei der Bearbeitung der folgenden Texte helfen können.

22 Regeln für gelungene Kommunikation (in beliebiger Reihenfolge)

(1)    Die/den andere/n ausreden lassen

(2)    Gesprächspartner/-in anschauen

(3)    Auf die/den andere/n eingehen

(4)    Andere nicht abwerten, keine Unterstellungen

(5)    Freundlicher Umgangston

(6)    Sachlich argumentieren

(7)    Ruhig bleiben

(8)    Positive Atmosphäre ermöglichen

(9)    Kommunikationsbereitschaft signalisieren

(10)  Aktiv und hilfreich zuhören

(11)  Sich auf das Wahrnehmbare konzentrieren

(12)  Die/den andere/n akzeptieren und verstehen

(13)  Eigene Zielsetzungen überprüfen

(14)  Gefühle und Bedürfnisse mitteilen (Ich-Botschaften)

(15)  Die Existenz von Konflikten akzeptieren

(16)  Konflikte selbst lösen

(17)  Rollengebundenheit der Sprecher/-innen beachten

(18)  Mimik und Gestik in der Kommunikation beachten

(19)  Offene Fragen stellen, keine Suggestivfragen

(20)  Rückmeldung des ausgelösten Gefühls

(21)  Nach Möglichkeit Lob und Anerkennung äußern oder signalisieren

(22)  Keine Verallgemeinerungen, nur konkrete Situationen/Verhaltensweisen ansprechen

Gesprächsanalysen

1. Gespräch zwischen Jane und Vater

Jane: Tschüss. Ich gehe jetzt zur Schule.

Vater: Es regnet, Liebling, und du hast keinen Regenmantel an.

Jane: Ich brauche ihn nicht.

Vater: Du brauchst ihn nicht! Du wirst nass werden und deine Sachen ruinieren oder dir   

5   einen Schnupfen holen.

Jane: So sehr regnet es nicht.              

Vater: Und ob es das tut.

Jane: Also ich will keinen Regenmantel anziehen. Ich hasse es, einen Regenmantel zu tragen.

Vater: Nun hör mal, Liebling, du weißt, du wirst wärmer und trockener sein, wenn du ihn

10 anziehst. Bitte, geh und hole ihn.

Jane: Ich hasse den Regenmantel –  ich will ihn nicht anziehen!

Vater: Du gehst sofort in dein Zimmer zurück und holst den Regenmantel! Ich lasse dich an

einem solchen Tag nicht ohne Regenmantel zur Schule gehen.

Jane: Aber ich mag ihn nicht …

15 Vater: Kein „Aber“ – wenn du ihn nicht anziehst, werden deine Mutter und ich dir verbieten

rauszugehen.

Jane: (wütend): Schon gut, du hast gesiegt. Ich werde den blöden Regenmantel anziehen!

Aufgaben:

1. Analysiere das Gespräch ausführlich anhand geeigneter Textstellen bezüglich der jeweiligen Absichten und ihrer kommunikativen Wirkung.

2. Bewerte das Gespräch, indem du hier die zentralen kommunikativen Fehler und deren mögliche Folgen sowie Verbesserungsvorschläge im Hinblick auf gelungene Kommunikation aufzeigst.

1. Gespräch zwischen Tochter Jane und Vater (LEH)

1.1. Einleitung

In dem Gespräch zw. einem Vater u. seiner jungen Tochter Jane geht es um seinen Wunsch, ihren Regenmantel auf dem Schulweg anzuziehen. Sie weigert sich zunächst mit dem Hinweis, es regne nicht so sehr, da sie ihren Regenmantel nicht mag. Schließlich gibt sie wütend infolge der immer stärkeren Drohungen und Befehle des Vaters nach.

1.2. Gesprächsanalyse

Janes Ankündigung, dass sie zur Schule gehe, beantwortet der Vater mit dem Hinweis, dass es regne u. sie keinen Regenmantel anhabe. Damit deutet er nur indirekt an, dass sie ihn anziehen solle, was kommunikativ ungünstig wirkt. Seine Anrede „Liebling“ (Z.2) klingt zwar sehr freundlich, ist aber in Wahrheit verniedlichend und abwertend gemeint (Z.9). Diese nur zwischen Ehepartnern übliche Anrede zeigt, dass der Vater seine Rolle als Erzieher gegenüber seiner Tochter nicht ernst nimmt.

Ihre Erwiderung, dass sie den Regenmantel nicht brauche, wiederholt der Vater überflüssigerweise in scheinbar besorgtem, aber auch lauten und daher drohenden Ton (Z.4). Ihrer Behauptung, dass es nicht so sehr regne, wertet er mit der gegenteiligen Behauptung ohne Begründung ab.

Deshalb begründet Jane ihre Weigerung, den Regenmantel anzuziehen, damit, dass sie ihn hasse (Ich-Botschaft, Z.8). Der Vater geht aber nicht auf Janes Gefühle ein, sondern nennt die Vorteile, wenn sie ihn anzöge („wärmer u. trockener“, Z.12f.). Seine anschließende Bitte – wieder nur scheinbar nett mit dem unpassenden Wort „Liebling“ (Z.9) verbunden – ist schon ein abgeschwächter Befehl und daher nicht eindeutig. Ein weiterer kommunikativer Fehler besteht in seiner Aufforderung „Nun hör mal“ (Z.9), denn er unterstellt ihr damit, dass sie nicht zugehört habe. In Wahrheit möchte er, dass sie auf ihn hört, d.h. ihm gehorcht. Viel besser wäre es, wenn er auf ihre Gefühle ‘hören’ würde und diese Ernst nähme.

Jane fühlt sich nicht verstanden u. wiederholt deutlich ihre Abneigung gegenüber diesem Regenmantel. Daraufhin befiehlt der Vater ihr laut, den Regenmantel zu holen, ohne den sie nicht zur Schule gehen dürfe. Janes eher zaghafte Entgegnung, dass sie ihn nicht möge, würgt der Vater sofort ab („Kein ‘Aber’“, Z.16) und droht ihr damit, dass sie von ihrer Mutter und ihm sonst Ausgehverbot bekäme.

Der Vater lässt nicht nur Jane nicht ausreden, sondern er benutzt auch seine abwesende Frau als Drohung, um sein Verbot zu verstärken. Dies verdeutlicht in Wahrheit seine Unsicherheit und Argumentationsschwäche. Schließlich gibt Jane auf, da ihr Vater gesiegt habe, und verspricht, „den blöden Regenmantel“ (Z.17) anzuziehen, wobei sie ihre ohnmächtige Wut zeigt.

2. Dialogbewertung (kommunikative Fehler, Folgen, Regeln für gelungene Kommunikation = R)

Der Vater beginnt das Gespräch zwar freundlich (R1), zeigt aber kein Verständnis für die Gefühle seiner Tochter (R10,11). Er geht nicht auf sie ein (R3) und bietet keinen Kompromiss an (R10,15) – später neuer Regenmantel, Schirm als Alternative etc. –, da er trotz der scheinbar gleichberechtigten Anrede „Liebling“ in Wahrheit nur Gehorsam von seiner (nur dann) lieben Tochter erwartet (R1,6). Er tut in dieser komplementären Beziehung z.T. so, als sei diese symmetrisch (R17). Jane zeigt am Ende ihre hilflose Wut, die bei ihr in späterem Alter sicher zu heftigen Auseinandersetzungen führen dürfte.

Der Vater arbeitet meist mit Du-Botschaften (Z.2, 4, 9, 16), die Befehle bzw. Drohungen enthalten (R7, 8, 9, 14).

Das Problem ist hier, dass der Vater nicht das Gefühl hat, etwas falsch gemacht zu haben (R13). Seine Kommunikation ist insofern ‘erfolgreich’, da er „gesiegt“ (Z.17) und sich durchgesetzt hat. Gelungene Kommunikation setzt aber voraus, dass beide Dialogpartner nach einem Gespräch positive Gefühle haben.

Auch wenn ein Gespräch einmal kontrovers und zugunsten einer Person verläuft, sollte der andere ‘Unterlegene’ trotzdem das Gefühl haben, mit seinem Anliegen und Gefühlen ernst genommen worden zu sein. Dann ist für ihn auch eine ‘Niederlage’ besser zu verkraften. Vielleicht findet er nach dem Gespräch heraus, warum er seine Ziele nicht verwirklichen konnte, und überlegt sich für künftige Gespräche eine bessere, erfolgreichere Strategie.

2. Gespräch zwischen Ursel und Robert

Ursel, 18 Jahre alt, und Robert, 19, sind seit etwa einem Jahr befreundet. In der letzten Zeit ist es zwischen ihnen immer häufiger zum Streit gekommen. Ursel hat an Robert auszusetzen, dass er wenig Gefühle zeigt und sich ihr gegenüber sehr distanziert verhält. Nie würde er etwas „Positives“ zu ihr sagen oder ihr Komplimente machen.

Robert hingegen fühlt sich von den emotionalen Ansprüchen Ursels überfordert. Er möchte sich, wenn sie zusammen sind, entspannen und bei Bedarf auch zurückziehen können, was aber Ursel nicht akzeptiert. Auf ihn wirkt sie manchmal aufdringlich, was ihn dann nervt. Eines Tages spielt sich folgendes Gespräch zwischen den beiden ab:

Robert: Ich werde am Wochenende mit Freunden zum Campen an den Kolarsee. Das wird

sicher schön.

Ursel: Was? Und das erzählst du mir erst jetzt? Wir hatten doch eigentlich ausgemacht,

dass wir miteinander ins Kino gehen wollen!

5   Robert: Was heißt hier „ausgemacht“? Du hast mal irgendwann so nebenbei geäußert, dass

wir mal wieder ins Kino gehen könnten. Aber von einem „Ausmachen“ kann gar

keine Rede sein.

Ursel: Siehst du, jetzt haben wir wieder mal den Beweis: Du gehst einfach auf mich gar

nicht ein, ich bin dir egal !

10  Robert: So, egal bist du mir?

Ursel: Ja, egal bin ich dir! Du kümmerst dich überhaupt nicht um mich! Und das Schönste

ist, dass ich gar nicht mehr erfahre, was du so über meinen Kopf hinweg mit deinen

Freunden ausmachst!

Robert: Wenn du dich so aufführst, hat das sowieso keinen Zweck, mit dir zu reden. Ich will

15 auch jetzt gar nicht streiten mit dir.

Ursel: Ja, ja, das kennen wir schon! Wenn ich dir mal sage, was ich meine, dann passt es dir

wohl nicht! Du machst es dir sehr einfach: Ich soll geduldig deine Gemeinheiten

über mich ergehen lassen!

20 Nein, mein Lieber, den Gefallen tue ich dir nicht, ich möchte jetzt eine Antwort von

dir haben!

Robert: Lass mich jetzt in Ruhe. Deine Tour kenn ich schon, die zieht nicht mehr!

Ursel: Ich möchte jetzt sofort von dir eine Antwort, sonst hat das Konsequenzen für uns!

24  Robert: Jetzt reicht es mir! (Er steht auf und knallt die Wohnungstür hinter sich zu.)

Aufgaben:

1. Analysiere anhand geeigneter Textstellen das Gespräch unter Einbeziehung der Regeln für

gelungene Kommunikation.

2. Zeige auf, welche jeweiligen Ziele 1. Ursel und 2. Robert im Gespräch verfolgen.

3. Erkläre, warum diese Ziele von 1. Ursel und 2. Robert nicht erreicht werden.

4. Schreibe den Dialog so um, dass die Kommunikation zwischen beiden vor allem für Ursel

zufriedenstellend verläuft.

Zusatzaufgabe:

Schreibe 3 verschiedene kommunikativ gelungene Dialoge zwischen dir und 1. deiner Freundin, 2. deinen Eltern, 3. deinem Klassenlehrer, in denen du jeweils ausführlich begründest, dass und warum du jetzt mit deiner Freundin in eine WG ziehen willst. Berücksichtige dabei auch die ganz unterschiedlichen Bedenken deiner Gesprächspartner!

2. Gespräch zwischen Ursel und Robert (LEH)

1.1. Einleitung

Der Gesprächsanlass zw. Robert u. seiner Freundin Ursel (Er wird am Wochenende ohne sie mit Freunden campen) führt infolge ihrer Wut darüber, übergangen worden sein, zu einem heftigen Streit, zumal sie meint, dass sie stattdessen zusammen ins Kino gingen. Diese misslungene Kommunikation offenbart deren starke Beziehungsstörung.

1.2. Gesprächsanalyse unter Einbeziehung der Regeln für gelungene Kommunikation

Robert beginnt das Gespräch damit, dass er „am Wochenende mit Freunden zum Campen“ fahre, was (für ihn!) „sicher schön“ (Z.1) werde. Seine Erwartung, dass Ursel sich mitfreut, ist unrealistisch, da sie sich ausgeschlossen fühlen muss u. er nichts Positives zu ihr sagt (Dieses gefühlskalte Verhalten ihr gegenüber hat zuletzt immer häufiger zu Streit geführt.).

Ursel zeigt sofort ihren Ärger, fühlt sich übergangen, zumal sie doch ausgemacht hätten, zusammen ins Kino zu gehen. Robert bestreitet das entschieden, womit er sie einfach abwertet und ihren Wunsch, mit ihm ins Kino zu gehen, übergeht. Ursel wird daraufhin sehr wütend und wirft ihm zu Recht vor, dass er nicht auf sie eingehe. Ihre emotionale Behauptung, sie sei ihm egal, was jetzt wieder einmal bewiesen sei, ist jedoch übertrieben und unterstellt ihm, dass er absichtlich so handelt. Dies wiederum empört Robert, der sich missverstanden fühlt und ihre Behauptung als Frage und unzulässige Unterstellung wiederholt („So, egal bist du mir?“, Z.8). Ursel bekräftigt ihre abwertende Behauptung lautstark und wirft ihm vor, dass sie gar nicht mehr erfahre, was er mit seinen Freunden verabrede. Hier hätte er spätestens auf ihre Gefühle und ihren Wunsch nach mehr Gemeinsamkeiten mit ihm eingehen müssen. Robert lehnt stattdessen die Kommunikation mit ihr als sinnlos ab. Sie akzeptiert das jedoch nicht, bezieht sich auf frühere negative Erlebnisse – ein schwerer kommunikativer Fehler! – und verlangt sofort eine Antwort von ihm – auch ein großer Fehler, da die Stimmung zwischen beiden emotional stark negativ aufgeladen ist.

Robert lehnt nochmals mit dem Hinweis, dass er ihre „Tour“ (Z.16) schon kenne (starke Abwertung!), jede gleichwertige Kommunikation ab. Er unterstellt ihr, dass sie es nicht ernst meine und ihre Wut nur gespielt sei. Ursel verlangt nochmals eine Antwort, was zeigt, dass auch sie nicht auf ihn eingeht, und droht mit „Konsequenzen“ (Z.17). Dies ist nicht nur wegen der Drohung ein Fehler, sondern auch, weil sie die Folgen nicht benennt. Am Schluss knallt Robert wütend die Tür zu, weil er jetzt genug von ihr habe (Z.18), womit die Kommunikation endgültig gescheitert ist.

2. Welche jeweiligen Ziele verfolgen 1.Ursel und 2.Robert im Gespräch?

1. Ursel möchte von Robert mehr beachtet werden und mit ihm etwas unternehmen, z.B. am Wochenende ins Kino gehen, und hat sich wohl schon sehr darauf gefreut. Daher ist sie von Roberts Ankündigung, das Wochenende mit seinen Freunden zu verbringen, so enttäuscht. Deshalb verfolgt sie nunmehr das Ziel, im Gespräch Recht zu behalten und Robert abzuwerten.

2. Robert möchte, dass Ursel sich mit ihm über sein schönes Wochenende mit seinen Freunden freut, und rechnet nicht mit Ursels tatsächlicher Enttäuschung u. Empörung.

3. Warum werden 1. Ursels und 2. Roberts Ziele nicht erreicht?

1. Zwar verfolgt sie anfangs dieses Ziel noch weiter, aber mit kommunikativ völlig untauglichen Mitteln (Vorwürfen, Unterstellungen, Drohungen, Einbeziehung früherer Negativerlebnisse, Forderung nach sofortiger Reaktion im Streit etc.). Sie müsste zeigen, dass sie traurig und enttäuscht ist (Ich-Botschaft!) und Robert mag. Vielleicht hätte er dann anders reagiert. Der häufige Streit deutet jedoch an, dass ihre Beziehung stark gestört ist. Beide passen wohl einfach nicht zusammen.

2. Robert möchte, dass sich Ursel mit ihm freut. Das ist aber kaum möglich, weil Ursel ganz andere Erwartungen an ihn hat, was schon oft zu Streit führte. Er hätte sie einbeziehen und vorher fragen sollen. Auch hätte er ihre Gefühle (auch für ihn) wahrnehmen, positiv darauf reagieren und z.B. einen Kompromiss anbieten sollen, statt rechthaberisch aufzutreten. Auch er begeht schwere kommunikative Fehler (geht nicht auf sie ein, wertet sie ab, unterstellt ihr etwas, akzeptiert sie nicht, zeigt kein Verständnis, bleibt nicht ruhig, ist nicht kommunikationsbereit etc.).

4. Kommunikativ gelungenere Gestaltung des Dialogs zwischen Ursel und Robert

Robert: Hallo Ursel, meine Freunde haben mich eingeladen, mit ihnen am Wochenende zum

Campen an den Kolarsee zu fahren. Ich würde gerne mitfahren! Was hältst du davon?

Ursel: Das kann ich zwar gut verstehen, aber wir hatten doch ausgemacht, dass wir

am Wochenende zusammen ins Kino gehen, und ich hatte mich schon so darauf

gefreut!

Robert: Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass wir das für dieses Wochenende fest

ausgemacht hatten. Auch ich würde gerne wieder einmal mit dir ins Kino gehen!

Andererseits wird das Campen am Kolarsee sicher ein ganz tolles Erlebnis! Wie wäre es denn, wenn du mitkämst. Die anderen haben sicher nichts dagegen.

Ursel: Ich weiß nicht recht. Ich würde wirklich viel lieber das Wochenende mit dir allein

verbringen!

Robert: Das finde ich ganz lieb von dir, dass du mich so magst! Aber wir sind doch sonst so

oft zusammen und ich verspreche dir, dich beim Campen nicht zu vernachlässigen. Ins Kino können wir doch gleich am Montag gehen. Dann läuft auch schon der neue Film, von dem du so schwärmst!

Ursel: Einverstanden. Aber du musst mir versprechen, wirklich am Montag mit mir ins

Kino zu gehen und am Wochenende am Kolarsee nicht mit irgendwelchen anderen

Mädchen was anzufangen!

Robert: Versprochen (lacht). Ich freue mich, dass wir zusammen zum Campen fahren. Ich

werde gleich Kurt anrufen und ihm sagen, dass wir beide mitkommen.

3. Gespräch zwischen Eltern und Kindern über die Klassenfahrt nach Prag (Text im Anhang)

1.1. Einleitung / Überblicksinformation

In dem Gespräch einer vierköpfigen Familie während eines Halts an einer Autobahnraststätte auf der Rückfahrt vom Pfingsturlaub versucht Nina, ihre Eltern dazu zu bewegen, der geplanten Klassenfahrt nach Prag vor den Herbstferien zuzustimmen. Jedoch hat sie den falschen Zeitpunkt und Ort gewählt. Auch hat sie das unreife und kontraproduktive Verhalten ihres Zwillingsbruders Tim sowie besonders die finanziellen Vorbehalte der Eltern und deren negative Einstellung gegenüber solchen Fahrten völlig unterschätzt. Daher wird sie wütend und wertet ihre Eltern ironisch ab, so dass die Kommunikation angesichts des autoritären Auftretens des Vaters fast zwangsläufig scheitern muss und die Entscheidung hierüber nur durch das beherzte Eingreifen der Mutter vertagt werden kann.

1.2. Gesprächsanalyse

(im Hinblick auf gelungene Kommunikation Ursachen des Scheiterns)

Nina erwähnt scheinbar ganz nebenbei die eine Woche vor den Herbstferien geplante Klassenfahrt nach Prag (Z.1f.). Wahrscheinlich hofft sie auf Zustimmung durch die vermutlich infolge des Urlaubs gut gelaunten Eltern. Allerdings sind Ort und Zeitpunkt nicht gut gewählt, wenn es darüber – wie hier – zu einem längeren, kontroversen Gespräch kommt.

Tim stimmt Nina begeistert zu. Sein verunglückter Hinweis auf die von ihnen dort erhoffte Entspannung verhindert aber eine mögliche Zustimmung des Vaters, der mit dem Vorwurf „ … und wir müssen das bezahlen!“ (Z.4), nach den Kosten fragt.

Als Nina den Preis von ca. 290 € nennt, sagt die Mutter aufgebracht, dass dies fast 600 € für zwei seien, was sie sich nicht leisten könnten (Z.6). Hier zeigt sich, dass der Zeitpunkt (Urlaubsende) ungeeignet ist für eine Diskussion über neue Fahrtkosten.

Die Mutter schlägt als Alternative eine preiswertere Klassenfahrt vor. Sie verweist auf ihre eigenen Erfahrungen mit einer Radtour mit Zelten nach Winterberg, die weniger als 100 DM gekostet habe u. „auch schön“ (Z.8) gewesen sei.

Die Mutter unternimmt zwar den richtigen Versuch, einen Kompromiss zu finden, und geht auf ihre Kinder ein. Jedoch erklärt sie nicht, was daran „schön“ war. Auch sind sie als Eltern von der Schule sicher über mögliche Kosten einer Klassenfahrt informiert worden und können nicht einfach ein bereits von der Klassenlehrerin festgelegtes Ziel einer Klassenfahrt in Frage stellen.

Nina signalisiert mit dem Wort „Gut“(Z.9), dass sie ebenfalls auf die Ansichten ihrer Mutter eingeht, entkräftet aber deren Argument bezüglich Winterberg damit, dass es „in Prag“ … „viel mehr zu sehen“(Z.9) gebe.

Tim entwertet Ninas richtiges Argument, da er nur „feiern“(Z.10) will. Er schätzt den für die Zwillinge ungünstigen Verlauf des Gesprächs völlig falsch ein. Tim akzeptiert und versteht nicht, was seine Mutter sagt, und ist weder kompromissbereit, noch willens, seine eigenen Ziele zu überprüfen. Er fällt Nina geradezu in den Rücken.

Tims kontraproduktive Äußerung nimmt der Vater zum Anlass, Klassenfahrten pauschal als „vertane Schulzeit“(Z.11) abzuqualifizieren. Alle dächten „nur an ihr Vergnügen“, und „die Lehrer … (hätten) „eine Woche Urlaub“(Z.12).

Der Vater wertet hier Lehrer pauschal ab, unterstellt, dass Klassenfahrten Zeitverschwendung seien, und zeigt keinerlei Bereitschaft zum Kompromiss bzw. Eingehen auf Ninas Argumente.

Nina bestreitet die Gültigkeit der Ansichten ihres Vaters über den ‘Zusatzurlaub’ der Lehrer, da diese für sie „verantwortlich“ (Z.13) seien. Zu Recht betont sie das bessere Kennenlernen zwischen Lehrer/- und Schüler/-innen auf solchen Fahrten, was gerade im Falle ihrer neuen Klassenlehrerin Frau Schmidt besonders wichtig sei.

Die sachliche Argumentation Ninas macht Eindruck auf ihre Mutter, die deren Argumenten widerstrebend zustimmt („nun ja, schön“, Z.17), aber nun ähnlich wie der Vater (Z.11) pauschal behauptet, dass sie dort „nicht viel“ (Z.16) lernten (kommunikativer Fehler: Du-Botschaft, Abwertung), um ihre Behauptung der Gleichwertigkeit einer viel preiswerteren Radtour zu untermauern.

Nina fühlt sich durch die Abwertung der von ihr als kulturelles Erlebnis verstandenen Klassenfahrt nach Prag angegriffen u. kann jetzt nicht mehr ganz sachlich bleiben. Sie wird lauter und widerspricht ihrer Mutter nun doch heftiger (Das stimmt nicht!“, Z.18).

Dann wird Nina wieder ruhiger und erklärt, dass sie „jeden Tag Kultur- und Freizeitprogramm machen“ (Z.18) würden, dies im Zusammenhang mit dem Deutschunterricht („Franz Kafka“, Z.19) stehe und sie das sehr interessiere (Ich-Botschaft).

Da sich Nina aber immer noch über die Abwertung und den Widerstand ihrer Mutter ärgert und gekränkt fühlt, wertet sie ebenfalls die von der Mutter als „schön“ empfundene Radtour nach Winterberg mit dem ironischen Hinweis darauf ab, dass sie damals „sicherlich mehr gelernt“(Z.20) hätten. Das abschließende unsachliche „was?“ (Z.20) verstärkt noch die Kränkung der Mutter.

Hierdurch macht Nina leider die Wirkung ihrer bisher guten Argumente zunichte und gibt dem Vater die Gelegenheit, seine Tochter (völlig unangemessen u. unsachlich) als „frech“ und „mein Fräulein“ (Z.22) abzuwerten, zu verkleinern und damit nicht Ernst zu nehmen.

Dieses besitzergreifende „Mein“ signalisiert zugleich, dass Nina sein Eigentum ist. Sie gehört ihm und muss ihm ohne Widerrede gehorchen.

Wieder mischt sich Tim in gut gemeinter (Verteidigung Ninas), aber nicht gut gemachter Absicht ein, indem er sicher nicht ganz zu Unrecht behauptet, dass die Eltern „damals auch nur Spaß haben“ (Z.23) wollten. Tims Aufforderung, sein Vater solle dies zugeben, verkennt, dass der Vater jetzt eine andere Rolle als damals als Sohn und Jugendlicher einnimmt. Ferner enthält seine Äußerung eine Du-Botschaft und den Vorwurf, bisher unehrlich argumentiert zu haben.

Daher reagiert der Vater sehr wütend, würgt erregt jede weitere Diskussion und damit Kommunikation ab („Schluss“, Z.24) und droht als Vergeltung für diese von ihm als Kränkung empfundene Äußerung damit, einfach kein Geld zu bezahlen. Mit dieser Äußerung ist das Gespräch endgültig gescheitert. Am Ende greift die Mutter ein und appelliert an alle, sich zu beruhigen u. die Entscheidung über die Klassenfahrt zu vertagen (Z.25).

2. Erklärung des Kommunikationsmodells S.v.Th. und Anwendung auf Nina (Z.18-21)

a) Das Modell erklärt, wie 2 Menschen sich durch ihre Kommunikation zueinander in Beziehung setzen bzw. sich äußern.

Diese Äußerungen enthalten 4 Aspekte, von Schulz von Thun auch „Seiten einer Nachricht“ genannt:

1. Sachinhalt/Information: Worüber informiert der Sprecher? 2. Selbstoffenbarung/Ausdruck: Was gibt der Sprecher von sich kund? 3. Appell: Wozu möchte der Sprecher den anderen veranlassen? 4. Beziehung: Was hält der Sprecher vom anderen u. wie ist deren Beziehung?

b) Nina informiert (Z.18-20) ihre Mutter auf der (1) Sachebene über die geplanten kulturellen Aktivitäten in Prag u. den Bezug zum Unterricht. Auf der (2) Selbstoffenbarungsebene zeigt sie, dass sie sich auf die Klassenfahrt nach Prag u. deren kulturelles Angebot freut, da sich dafür sehr interessiert. Zugleich zeigt sie durch ihren energischen Widerspruch offen ihren Ärger über ihre Mutter.

Auf der (3) appellativen Ebene möchte sie ihre Mutter zur Erlaubnis der Klassenfahrt veranlassen.

Auf der (4) Beziehungsebene macht sie durch ihren Widerspruch („Das stimmt nicht!“, Z.18) sichtbar, dass sie eher die Rolle einer gleichberechtigten und ihre Ansichten selbstbewusst vertretenden Tochter einnimmt. Zugleich zeigt sie durch die ironische Abwertung der früheren Klassenfahrt ihrer Mutter nach Winterberg (Z.21), dass sie sich von ihr gekränkt (Z.17) fühlt und ihre Sachinformationen auch dazu benutzt, ihre Überlegenheit gegenüber der Mutter zu verdeutlichen.

3. Zwei misslungene Äußerungen durch Verbesserungsvorschläge ersetzen und begründen

1. Die Mutter sollte ihre Äußerung in Z.17 wie folgt ändern, z.B.: „Du hast ja Recht damit, dass eine Klassenfahrt gerade mit eurer neuen Klassenlehrerin für euch sehr wichtig ist. Prag ist sicher auch eine interessante Stadt mit vielen kulturellen Angeboten.

Aber wir haben nun mal nicht so viel Geld. Vielleicht könntet ihr ja bis dahin etwas sparen, damit es für uns nicht so teuer wird?“

Diese Äußerung enthält keinen Vorwurf, eine Ich-Botschaft, ein Kompromissangebot und signalisiert, dass die Mutter auf Nina eingeht.

2. Nina sollte ihre Äußerung in Z.21 wie folgt ändern, z.B.: „Ich denke, dass wir mit der neuen Klassenlehrerin gerade in Prag sehr viel Neues und Wichtiges auch für den Unterricht lernen können. Ich verstehe ja, Mutti, dass solche Fahrten früher nicht üblich und auch gar nicht möglich waren u. wir leider sehr wenig Geld haben. Vielleicht könnten Tim und ich bis zum Herbst etwas sparen oder hinzuverdienen, damit ihr nicht so viel bezahlen müsst“.

Diese Äußerung enthält keinen Vorwurf, Ich-Botschaften, Kompromissangebot u. zeigt Verständnis für finanzielle Lage der Eltern.

4. Dialogverhalten und Rollen sowie Bedeutung für Gesprächsverlauf

1. Ihrer Rolle als besorgte, fürsorgliche u. verständnisvolle Mutter wird sie nur z.T. gerecht, da auch sie mit Abwertungen (Z.17) arbeitet. Sie geht zwar auf Nina ein, begründet aber ihre Weigerung und ihre Alternativen nicht ausreichend. Greift als Mutter unangemessen in die Lehrerrolle ein. Sie sollte einen Kompromiss anbieten, indem sie z.B. eine angemessene Kostenbeteiligung der Kinder vorschlägt (Ansparmöglichkeit bis Herbst). Am Schluss erfüllt sie wieder ihre Mutterrolle als Streitschlichterin.

2. Der Vater setzt seine Autorität ganz falsch ein. Er arbeitet fast nur mit pauschalen Vorurteilen, Abwertungen u. Drohungen. Er sollte ein ‘Machtwort’ sprechen, das den Streit schlichtet, einen Kompromiss enthält und nicht nur jede Diskussion abwürgt.

3. Nina ist zwar genauso alt wie Tim, aber sie spielt hier die Rolle der ‘älteren und reiferen Tochter’. Sie widerspricht ihrem Bruder nicht und solidarisiert sich mit ihm, obwohl sie über dessen sehr ungeschickte und unpassende Äußerungen sicher alles andere als glücklich ist. Nina argumentiert meist sehr ruhig und geschickt, fällt jedoch mit der ironischen Abwertung der Argumentation ihrer Mutter aus der Rolle, da sie eine gleichberechtigte Position beansprucht. Dadurch entwertet sie die Wirkung ihrer Argumente.

4. Tim ist zwar genauso alt wie Nina, spielt jedoch die Rolle des ‘jüngeren u. unreiferen Bruders’, der durch seine ungeschickte Art die guten Argumente Ninas dauernd entwertet. Auch er missversteht seine Rolle als Sohn und die der Eltern, da er meint, dass diese keine Verantwortung („nur Spaß“, Z.23) für sie zu übernehmen bräuchten.

4. Familienszene im Wohnzimmer

1.1. Einleitung / Überblicksinformation

Das abendliche Gespräch zw. Tochter Susanne und Mutter – im Beisein von Sohn Frank und Vater – im Wohnzimmer handelt von dem Versuch der Mutter, ihre Tochter am Abend vor einer wichtigen Englischarbeit zu größeren Lernanstrengungen anzuhalten.

Da sie jedoch mit Unterstellungen, Vorwürfen und moralischer Erpressung arbeitet, anstatt Verständnis für Susannes Ängste zu zeigen, provoziert sie bei ihr nur Ablehnung. Als sich der Vater sehr ungeschickt u. autoritär einmischt, scheitert das Gespräch endgültig.

1.2. Analyse des Gesprächs im Hinblick gelungene Kommunikation + Gründe für Scheitern

Die Mutter sieht, dass ihre Tochter grußlos ins Wohnzimmer kommt u. den Fernseher einschaltet. Damit signalisiert Susanne, dass sie nicht kommunikationsbereit ist, vielleicht auch, dass sie sich nicht wohl fühlt oder gar Ängste hat.

Trotzdem beginnt die Mutter das Gespräch mit ihr sofort mit einer rhetorischen Frage, die die Unterstellung und den Vorwurf enthält, dass sie mit ihrem Aufsatz sicher noch nicht fertig sei und sich nicht genug für die morgige Englischarbeit vorbereitet habe. Zudem erinnert sie Susanne drohend an den Blauen Brief in Englisch (Z.4).

Susannes Erwiderung, sie habe „schon genug gelernt“ (Z.5), könne Neues jetzt sowieso nicht mehr aufnehmen und wolle sich jetzt ablenken, ist zwar lernpsychologisch richtig, wird aber von der Mutter nicht Ernst genommen. Sie hätte hier viel sensibler reagieren müssen. Sie hat jedoch große Angst, dass Susanne morgen eine Fünf schreibt.

Auch Susanne begeht einen Fehler, da sie die Angst der Mutter, dass ihre Tochter vielleicht sitzen bleibt, so eher vergrößert.

Die Mutter macht nun den weiteren Fehler, Susanne mit ihrem älteren Bruder zu vergleichen, der viel mehr tue und viel besser in der Schule sei. Dies empfindet Susanne zu Recht als „unfair“ (Z.9) – zumal er vielleicht einfach intelligenter sein könnte – u. fordert Frank auf, ihr bezüglich der Richtigkeit ihres Lernverhaltens zuzustimmen. Dieser schweigt jedoch. Wahrscheinlich ist er der Mustersohn u. möchte es mit der Mutter nicht verderben. Vielleicht ist ihm Susanne auch nicht so wichtig.

Die Mutter möchte aber wissen, ob Susanne genug gelernt hat, und schlägt vor, dass sie sie „mal etwas abfragen“ (Z.12) könnte. Dies ist zwar ein gut gemeintes Angebot. Da die Stimmung jedoch schon gereizt ist u. die Mutter auf ihre eigenen und Susannes frühere positive Erfahrungen als Kind hinweist, reagiert die Tochter ablehnend, da sie sich von der Mutter abgrenzen und nicht als Kind behandelt werden möchte („Ich bin aber nicht wie du, und ich bin auch nicht mehr in der Grundschule.“, Z.14).

Darauf reagiert die Mutter wütend u. wiederum ungeschickt, da Susanne wohl lieber das Gegenteil tue, als ihr zu folgen. Damit provoziert sie unbewusst aber noch mehr Ablehnung von Susanne, die dies als unsachlich und Unterstellung zurückweist und meint, alt genug zu sein, um selber mit der Schule fertig zu werden (Z.16f.).

Die Mutter greift nun aus Hilflosigkeit zum kommunikativ völlig falschen Mittel der moralischen Erpressung, erinnert sie an die neu gekaufte Jacke und wirft ihr Undankbarkeit vor. Sie beruft sich auf die Autorität des Englischlehrers, der derselben Ansicht sei wie die Mutter, und stellt erneut eine rhetorische Frage, ob sie wieder eine Fünf schreiben wolle.

Nun mischt sich Frank ein u. appelliert an die Mutter, damit aufzuhören, da er so „bei ihr gar nichts“ (Z.21) erreiche. Das ist zwar gut gemeint, aber auch ein Fehler, da die Mutter infolge ihrer Ängste um Susannes Versetzung und weil sie auch erregt ist, nicht so einfach mit ihren Vorwürfen aufhören kann. Frank nennt nicht den Namen seiner Schwester. Dies deutet auf eine gewisse Distanz hin. Sie tut ihm wohl eher Leid, als dass er sich mit ihr solidarisiert.

Susanne übergeht Franks Äußerung u. fragt zu Recht, „was die Jacke mit der Englischarbeit zu tun haben soll“ (Z.22).

Der Vater begeht dann den schwersten kommunikativen Fehler, da er mit den „blöden Musikvideos“ (Z.24) Susannes Geschmack pauschal abwertet und ihr einfach autoritär befiehlt, das zu tun, was ihre Mutter ihr gesagt habe.

Damit erreicht er aber nur, dass Susanne sich völlig unverstanden fühlt, da die Eltern „immer recht“ (Z.26) hätten. Sie geht in ihr Zimmer und macht laute Musik, um ihr Wut zu zeigen. Damit ist die Kommunikation endgültig gescheitert.

2. Zwei misslungene Äußerungen durch Verbesserungsvorschlag ersetzen und begründen

1. Die Mutter sollte das Gespräch anders beginnen (Z.1), z.B.: „Susanne, ich sehe, dass du mit Englisch fertig bist. Kann ich dir noch irgendwie helfen beim Lernen für die morgige Arbeit. Du weißt ja, wie sehr ich dir wünsche, dass du es morgen schaffst!“ Diese Äußerung enthält keinen Vorwurf, sondern ein Hilfsangebot u. signalisiert, dass die Mutter zu ihr hält.

2. Statt Susanne mit Frank zu vergleichen, könnte sie Folgendes sagen (Z.7): „Susanne, vielleicht könnte dich Frank ja ein bisschen abhören, der kann das vielleicht besser als ich. Ich habe doch Ängste, dass du vielleicht sitzen bleibst, und wäre viel beruhigter, wenn er dich noch etwas abfragen würde.“ Damit wird Frank aufgewertet und motiviert, mit ihr zu lernen, ohne Susanne abzuwerten. Auch spricht die Mutter deutlich ihre Ängste aus (Ich-Botschaft), ohne Susanne zu verletzen.

3. Analysiere die Aussagen der Personen im Hinblick auf die Qualität der Argumente

Die Mutter beginnt sofort mit Vorwürfen und Unterstellungen. Deshalb erzielt ihr richtiges Argument (Blauer Brief, morgige Klassenarbeit) nicht die erhoffte und mögliche Wirkung. Das Gegenargument der Tochter ist lernpsychologisch richtig, kann aber der Mutter ihre Angst vor Susannes Schulversagen nicht nehmen. Der Vergleich Susannes mit ihrem Bruder ist kein gutes Argument, da es eine Abwertung Susannes enthält. Deshalb weist Susanne dieses auch als unfair zurück. Der Hinweis auf ihre und Susannes frühere Erfahrungen mit gemeinsamem Lernen setzt eine sehr gute Beziehung voraus, was hier nicht zutrifft, ist generell kein gutes Argument und wird daher ebenso von Susanne zurückgewiesen. Ab dann arbeitet die Mutter nur noch mit Vorwürfen und moralischer Erpressung, so dass die Kommunikation immer unsachlicher wird und misslingt.

Franks Einwand (Z.21) ist zwar richtig, bewirkt aber in dieser Situation nichts, da er auch keine sinnvollen Vorschläge, sondern nur einen (berechtigten) Vorwurf an die Mutter enthält. Auch Susanne arbeitet jetzt mit indirekten Vorwürfen und ist nicht in der Lage, der Mutter ihre Ängste wegen der morgigen Arbeit zu nehmen.

Der Vater argumentiert erst gar nicht, fordert nur Gehorsam, womit die Kommunikation endgültig scheitert. Auch Susanne erhebt am Schluss nur noch Vorwürfe.

4. Dialogverhalten und soziale Rollen + Bedeutung für Gesprächsverlauf

1. Ihre Rolle als besorgte u. fürsorgliche Mutter spielt sie nicht gut, da sie sofort mit Vorwürfen und Unterstellungen arbeitet. Damit entwertet sie ihre Rolle und provoziert bei Susanne Abwehr. Sie sollte mehr Verständnis für ihre Tochter zeigen, auch von ihren eigenen Ängsten sprechen und Kompromissvorschläge unterbreiten.

2. Der Vater setzt seine Autorität ganz falsch ein, da er einseitig gegen Susanne Partei ergreift. Er hätte lieber zuhören und ein ‘Machtwort’ sprechen sollen, aber eines, das den Streit schlichtet und einen Kompromiss enthält und ihn nicht noch verstärkt.

3. Susanne hat als Jüngste sicher einen schweren Stand. Allerdings müsste sie berücksichtigen, dass sie wohl auch nach Ansicht des Englischlehrers zu wenig lernt, so dass die Ängste ihrer Mutter nicht unbegründet sind. Da sie wohl selbst kein so gutes Gefühl hat und gleich mit Vorwürfen konfrontiert wird, ist sie nicht in der Lage, Kompromisse vorzuschlagen.

4. Frank hat es als älterer Bruder u. Mustersohn und –schüler viel leichter. Deshalb hätte er als Unbeteiligter auch am ehesten den Vorschlag machen können, Susanne abzufragen. Sein Vorwurf an die Mutter (Z.21) zeigt zwar, dass er sich seiner Position als Ältester bewusst ist. Jedoch hätte er seiner kleineren Schwester besser durch einen konkreten Kompromiss helfen sollen. Sein vorheriges Schweigen zeigt aber, dass er sich lieber heraushält, um weiterhin der Mustersohn zu sein.

5. Am Abendessentisch der Familie Meyer

1. Gesprächsanalyse im Hinblick auf gelungene Kommunikation + Gründe für Scheitern

Nach Ritas positiver Bewertung des Essens u. der zufällig gleichzeitigen (und daher Heiterkeit auslösenden) Aufforderung an ihre Kinder, was es bei ihnen Neues gebe, sagt Rita stolz, dass sie eine 1 in Englisch bekommen habe (Z.4), und erwartet ein Lob. Die Mutter geht jedoch nicht auf Ritas Gefühle ein, sondern erwartet von ihr künftig „mal eine 2 in Mathe“ (Z.5), womit sie Rita sicherlich enttäuscht.

Der Vater verzieht die Miene, nörgelt am Essen herum, spricht z.T. unverständlich und sieht den Zeitungsbericht über Bleivergiftung bei Sardinen als Bestätigung seiner Vorurteile über Marokko. Er wertet das Essen und damit seine Frau ab und scheint leichtgläubig und leicht beeinflussbar zu sein.

Die Mutter beachtet klugerweise die kommunikativen Fehler ihres Mannes nicht und verteidigt den Kauf der Sardinen als preiswert (Z.10).

Rita kämpft mangels Anerkennung weiter um Aufmerksamkeit u. sagt, dass ihre Klasse sich heute wg. Erkrankung ihrer Lehrerin „auf dem Dachen sonnen“ (Z.12) konnte.

Der Vater zeigt mit der abwertenden Frage „In der Schule?“ (Z.13), dass er weder wertschätzend auf Rita noch auf seine Frau eingeht.

Jürgen mischt sich mit „Ja“ (Z.14) ein u. sagt, ohne die Kommunikationssituation zu berücksichtigen und sein wirkliches Anliegen sensibel vorzutragen, dass es bei ihm „jetzt so weit“ (Z.14) sei. Seine Firma habe den Auftrag in Libyen bekommen, und in 3 Monaten begännen wohl die Montagearbeiten.

Rita versucht weiterhin vergeblich, durch wildes Gestikulieren und Hinweis auf beißende Schnaken auf sich aufmerksam zu machen (Z.17f.).

Der Vater zeigt durch kaum verständliches Stammeln seine Hilflosigkeit gegenüber Jürgens Äußerung („So, so … ja da … aber …, Z.19).

Mutter unterbricht Vater, der sich dies gefallen lässt und so dessen Bedeutungslosigkeit zeigt, indem sie indirekt Befürchtung äußert, dass Jürgen auch dorthin müsse (Z.20f.).

Jürgen missachtet ihre Befürchtungen und Gefühle und sagt, dass er nicht müsse, aber dorthin wolle (Z.22f.), womit er ihre Ängste verstärkt.

Die Mutter appelliert an Jürgens Verstand, erinnert ihn an seine kurze Zugehörigkeit zu der Firma, seine Jugend und Unerfahrenheit. Dann aber zeigt sie Vorurteile vor „den verrückten Arabern“ (Z.26) mit „Krieg“ und „Bomben“ (Z.27), aber auch ihre Ängste (richtige Ich-Botschaft).

Rita versucht vergeblich (und mit untauglichen Mitteln) durch ironische, scheinbare Aufwertung Jürgens als „Ölscheich“ (Z.30) u. abwertende Mimik ihm gegenüber (Gesicht schneiden) das Gespräch in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Jürgen tadelt Ritas Bemerkung als „blödes Zeug“ (Z.32) und ignoriert sie, indem er gegenüber den Eltern – ohne sie einzubeziehen – u.a. laut Walter Knirps Vorteile für ihn wie guter Verdienst und große Ansparmöglichkeiten für den später geplanten Besuch der Ingenieurschule aufzählt.

Vater wertet trotz scheinbar positiver Bemerkung „Klingt großartig“ (Z.40) Jürgens Anliegen als nur scheinbar toll ab. Dann fragt er unvermittelt rhetorisch, wer das Haus weiterzahlen solle und auch die Garage müsse noch gebaut werden. Damit erweckt er den falschen Eindruck, als sei sein Sohn dazu verpflichtet, seinem Vater hierbei zu helfen. Dieses unberechtigte Anliegen bringt er zudem wieder stammelnd und kaum verständlich vor, so dass er von Jürgen mangels Autorität nicht Ernst genommen werden kann.

Die Mutter unterbricht den peinlichen Auftritt ihres Mannes und redet beruhigend auf ihn, ohne ihn bloßzustellen. Dann sagt sie zu Recht, dass die Eltern das „noch allein schaffen“ (Z.46) würden, und bietet sogar an, für Jürgens Berufswunsch mehr Nachtdienste zu machen.

Jürgen unterbricht seine Mutter mit einem ungeduldigen „Ja, ja, ich versteh’ schon …“ (Z.48), statt ihr Hilfsangebot positiv aufzugreifen. Glücklicherweise ignoriert die Mutter diese Abwertung und spricht weiter vom erwünschten beruflichen Fortkommen Jürgens. Sie stellt nur in Frage, ob er unbedingt in Libyen arbeiten müsse. Damit zeigt sie richtiger- und verständlicherweise ihre Ängste, da sie ihren Sohn liebt und um ihn besorgt ist. Zugleich reagiert sie aber nicht lösungsorientiert, da klar ist, dass die Firma einen Auftrag in Libyen hat.

Jürgen geht mit „Das ist schon klar“ (Z.51) wieder weder direkt auf ihre Äußerung noch auf ihre Ängste ein. Stattdessen zählt er nur die Vorteile für sich auf: Er lerne was, besonders auch Englisch, und sehe die Welt. Laut Walter Knirps bekomme man dort nützliche Kontakte zu Ingenieuren und Managern. Dessen Kumpel habe ein hohes amerikanisches Tier kennengelernt und von diesem trotz Gesellenprüfung ein Stipendium erhalten (Z.51-61).

Der Vater wertet mit dem ironischen Hinweis „Ja, ja, der Onkel aus Amerika.“ (Z.62) Jürgens Erzählungen über seine mögliche Karriere als Träumereien und pure Illusion ab. Danach nennt er sehr ungeschickt und vage die angeblichen Vorteile Jürgens zu Hause („nicht schlecht“, Z.63).

Auch bekämen er und Rita ja das Haus. Danach ergeht er sich wieder in Selbstmitleid, beklagt stammelnd die „Schulden“, den „Ärger“ und „die Arbeit“ (64f.), und dass Jürgen ihn allein lassen wolle. Kaum unverständlich faselt er etwas von „Ihr macht ja doch, was ihr wollt. Ich zähl nicht mit.“ (Z.67f.),

womit er sich völlig unglaubwürdig macht, seiner Autorität als Vater verliert und nur noch auf Mitleid hofft.

Jürgen unterbricht seinen Vater zu Recht, jedoch wirft er ihm vor, alles nur von dessen Standpunkt aus zu sehen (Z.70f.) – ein Vorwurf, der auch auf ihn selbst zutrifft und seine mangelnde Selbstwahrnehmung unterstreicht.

Der Vater fühlt sich angegriffen, wird rot vor Zorn und Erregung und wirft ihm vor, selbst so zu handeln (Z.72f.), was richtig, aber kommunikativ falsch ist.

Dies veranlasst Jürgen, seinen Vater mit dem Hinweis auf seine Arbeit in einer Puddingpulverfabrik mit ironischem Grinsen abzuwerten (Z74f.).

Vater, der Jürgen wohl insgeheim beneidet und seine Arbeit wohl auch nicht besonders hoch bewertet, fühlt sich jetzt so in seiner Ehre gekränkt, dass er sehr laut wird („Jetzt reicht’s mir aber!“). Mit dem Hinweis, dass alles hiervon der Fabrik käme und dem Ausruf „Das ist doch wohl …“ (Z.78) geht er drohend auf Jürgen zu, als wolle er ihn schlagen.

Jürgen kann dies durch eine Entschuldigung verhindern, dabei zeigt seine Mimik jedoch, dass er meint, im Recht zu sein (Z.80-83).

Die Mutter befiehlt beiden laut, sofort aufzuhören, dem Vater, Jürgen ausreden zu lassen, und Jürgen, sich zu benehmen. Erleichtert seufzt sie tief auf, da sie Angst vor einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen beiden hatte, und bittet Jürgen um die Butter, um das Thema zu wechseln (Z.86f.).

Jürgen ist froh, dass eine Eskalation vermieden wurde, und sagt grinsend, dass sie wohl die Margarine meine.

Die Mutter schmollt zwar, geht aber auf ihn ein und verteidigt ihre Frage damit, dass sie sonst „gute Butter“ (Z.88) gesagt hätte.

Jürgen ist froh, dass der Streit vorbei ist, haut sich auf den Nacken wegen der Schnaken und erklärt jetzt genauer, was er mit dem Ersparten möchte: Er könne dann schneller sein Studium beenden und brauche nicht immer etwas nebenbei zu verdienen. Wenn er dann fertig sei, stelle er etwas dar, verdiene was und sie hätten „auch was davon“ (Z.102). Erst ganz zum Schluss geht er auf die Eltern ein und deutet die Vorteile auch für sie an.

Rita geht wiederum nicht auf die anderen ein und sagt nur, dass Georg gleich komme. Das Gespräch endet unvermittelt, so dass offenbleibt, wie sich die Eltern entscheiden. Die Mutter wird wohl versuchen, zu einem günstigeren Zeitpunkt nochmals in Ruhe über das Thema zu reden.

2a) Kommunikationsmodell S.v.Th. und b) Anwendung auf Jürgen (Z.80-83)

a) Das Modell erklärt, wie 2 Menschen sich durch ihre Kommunikation zueinander in Beziehung setzen bzw. sich äußern. Diese Äußerungen enthalten 4 Aspekte, von Schulz von Thun auch „Seiten einer Nachricht“ genannt:

1. Sachinhalt/Information: Worüber informiert der Sprecher? 2. Selbstoffenbarung/Ausdruck: Was gibt der Sprecher von sich kund? 3. Appell: Wozu möchte der Sprecher den anderen veranlassen? 4. Beziehung: Was hält der Sprecher vom anderen und wie ist deren Beziehung?

b) Jürgen informiert den Vater auf der Sachebene, dass er sich entschuldigt und es nicht so gemeint habe. Auf der Selbstoffenbarungsebene zeigt er, dass er es sehr wohl so meint. Auf der appellativen Ebene möchte er ihn zur Anerkennung seiner Pläne veranlassen. Auf der Beziehungsebene macht er deutlich, dass er nur eine gleichberechtigte Beziehung akzeptiert und das Verhalten des Vaters lächerlich findet.

3. Dialogverhalten und soziale Rollen + Bedeutung für Gesprächsverlauf

Die Mutter nimmt ihre typische Rolle ein (Streit schlichtend, fürsorglich, besorgt). Jedoch hat sie mehr Autorität als der Vater. Sie ist kompromissbereit und setzt sich für Jürgen ein. Daher kann sie durch ihre Autorität eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Vater und Jürgen verhindern.

Der Vater möchte zwar gerne ein Machtwort sprechen und Jürgens Berufswunsch ablehnen. Er ist aber zu schwach und unsicher, um dies wirklich mit Autorität durchzusetzen. Er versucht es deshalb mit moralischer Erpressung und einem hilflosen Wutausbruch, erreicht aber nicht sein Ziel.

Jürgen nimmt die Rolle des ältesten Sohnes ein (gegenüber Rita die des älteren Bruders, wobei keiner den anderen Ernst nimmt). Infolge der Rivalität des Vaters kann er diese eher erwachsene Rolle nicht ausfüllen und kann nur durch die Mutter vor Gewalttätigkeit bewahrt werden.

Rita zeigt das typische pubertierende Verhalten als Jüngste. Sie versucht, Aufmerksamkeit zu erregen, hat aber kaum Einfluss auf das Gespräch.

4) Beispiele für misslungene Kommunikation + Verbesserungsvorschläge

1) Z.62: Abwertung des Vaters provoziert seinen Sohn. Vater sollte Jürgens Berufswunsch nicht sofort ablehnen, sondern Verständnis zeigen.

Vater: „Ich verstehe deinen Wunsch, die große weite Welt kennenzulernen. Damit ist aber auch ein großes Risiko verbunden. Hier ist es für dich viel leichter. Ich würde mich sehr freuen, wenn du und Rita das Haus später übernehmen würden!“

2) Z.74f.: Jürgen wertet Vaters Beruf ab; provoziert aggressive Reaktion; sollte Wertschätzung und Verständnis für Ängste zeigen (Ich-Botschaft).

Jürgen: “Sieh mal, Vater, ich verstehe, dass du jetzt enttäuscht bist, weil ich das Haus nicht übernehmen und weggehen möchte. Ich bin dir auch sehr dankbar, dass du so viel für uns getan hast. Aber für mich ist das die große Chance meines Lebens! Ich werde auch ganz ernsthaft studieren und alles allein bezahlen. Wenn ich Ingenieur bin, dann habt ihr auch was davon!“

5) Nonverbales Verhalten bei a)Rita, b)Jürgen, c)Vater + kommunikative Wirkung

a) Rita versucht recht erfolglos durch Umherfuchteln (Z.17), Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; Jürgens Weggang nach Libyen sucht sie durch Grimassen schneiden (Z.31) lächerlich zu machen u. unterstreicht ihre verbale ironische Abwertung ihres Bruders als unrealistischen Träumer (Z.29f.), wird aber kaum Ernst genommen.

b) Jürgen zeigt mehrfach durch seinen ironischen bzw. unernsten Gesichtsausdruck (Z.72, 81f.), dass er den Vater bzw. seine eigene Entschuldigung nicht Ernst nimmt. Dadurch verstärkt er noch seine verbalen Abwertungen.

c) Der Vater unterstreicht durch sein Räuspern (Z.68) seine Unsicherheit u. sein Aufspringen (Z.76) seine Erregung. Seine abweisende Handbewegung (Z.69) verdeutlicht unbewusst seine abweisende Einstellung gegenüber Jürgens Wunsch, nach Libyen zu gehen. Sein Stottern (Z.66ff.) verrät seine Hilflosigkeit.

6)  Hat Jürgen nach diesem Gespräch die Erlaubnis, nach Libyen zu gehen?

Mutter will Nachtdienst machen, um finanzielle Ängste des Vaters abzubauen; hat nur gegen Libyen Vorbehalte, unterstützt sonst Jürgens Berufswunsch; starke Autorität in der Familie; Vater wirkt recht schwach, kaum durchsetzungsfähig; Jürgen hat keine direkte Zustimmung der Eltern, kann aber mit etwas mehr Geschick seinen Wunsch durchsetzen; Eltern werden letztlich zustimmen, da sie einem 20-jährigen dies kaum verbieten können.

6. Gabriele Wohmann: Ein netter Kerl (KG,1978)

1. Überblicksinformation

Die KG von Gabriele Wohmann “Ein netter Kerl” (1978) spielt am Abendessentisch einer 5-köpfigen Familie u. handelt von einem abwertenden Gespräch über Ritas Freund (Verlobten!), was zu einer psychisch sehr belastenden Auseinandersetzung führt. )

1. Gesprächsanalyse bezüglich der Einhaltung von Kommunikationsregeln + Scheitern

Nanni, die Jüngste („entsetzlich“, Z.2), und die Mutter („Furchtbar fett“, Z.3) beginnen das Gespräch mit sehr abwertenden Äußerungen über einen jungen Mann, der bei der ältesten Tochter Rita zu Besuch war u. eben gegangen ist.

Die besorgte, aber ganz unangebrachte Frage der Mutter („Weißt du, ob er ganz gesund ist?“, Z.4) ist nur scheinbar taktvoller und nimmt auf Ritas Gefühle keine Rücksicht. Rita geht auf die verletzenden Äußerungen nur kurz und leicht abwehrend ein („Ach, ich glaub schon, dass er gesund ist.“, Z.6). Ihre große Kränkung u. ihre sehr angestrengte Reaktion wird körpersprachlich sichtbar (Z.5, s.u., Nr. 3).

Nanni setzt ihren Angriff fort („weich wie ein Molch, wie Schlamm“, Z.7), wobei Milene (die Mittlere) recht erfolglos versucht, Ritas Freund in Schutz zu nehmen („Aber er hat dann doch auch wieder was Liebes“, Z.9). Die Mutter reagiert zunächst „beschämt“ (Z.11), verschärft ihre Abwertungen aber mit „recht lieb, aber grässlich komisch“ (Z.11f.) und verlacht Rita ebenso wie Nanni („Auch hinten im Nacken hat er schon Wammen, wie ein alter Mann“, Z.15), die wohl selbst keine Schönheit ist (Z.15f.).

Ritas Körperhaltung (Z.17, s.u., Nr. 3) zeigt, wie unangenehm dieses Gespräch für sie ist. Milenes 2. auch nicht besonders glücklicher Entlastungsversuch („Er hat so was Insichruhendes … Ich find ihn so ganz nett, Rita, wirklich, komischerweise.“, Z.18.f.) wird durch Nannis theatralische Explosion („stieß einen winzigen Schrei aus“ … „Könnt ihn immer ansehen und mich ekeln“, Z.20-22) zunichte gemacht.

Der Vater, der ihn zur Bahn gebracht hat, kommt zurück und wirkt sachlicher, äußert sich aber auch negativ („Er war ja so ängstlich … So was von ängstlich.“, Z.24f. (Diese Familie kann oder will nicht mit schwachen, zurückhaltenden, schüchternen Menschen umgehen.)

Ritas Rettungsversuch ihres Freundes („Er lebt mit seiner Mutter zusammen“, Z.26), wirkt kontraproduktiv und verstärkt den Eindruck des ängstlichen Muttersöhnchens. Das Auslachen der anderen verstärkt ihre nonverbal gezeigten (Z.28, s.u.) Gefühle von Demütigung und Angst dramatisch und veranlasst sie zu einem untauglichen Entlastungsversuch („Seine Mutter ist nicht ganz gesund“, Z.29). Dies löst bei den anderen eine anschwellende übermächtige Lachsalve (abwertendes Auslachen) aus, die sie erdrückt, aber auch verbirgt und damit schützt.

Nun versucht die Mutter halbherzig und erfolglos, dieses quälende Gespräch zu beenden („können“, Z.35). Sie übt keine moralische Autorität aus, da sie das Verhalten der gesamten Familie und besonders Nannis gegenüber Rita nicht kritisiert. Daher setzt Nanni noch eins drauf, spricht Rita direkt an und beleidigt ihren Freund erneut mit einem Vergleich aus dem Tierreich („Wann kommt die große fette Qualle denn wieder“, Z.37f.).

Die Wende des Gesprächs leitet Rita mit ihrem offenen und mutigen Hinweis auf ihre Beziehung zu ihm ein („Ich habe mich mit ihm verlobt.“, Z.39f.). Durch paradoxe Intervention mit Schockwirkung („Ist das nicht zum Lachen!“, Z.43; „He, Nanni, … mit der Qualle habe ich mich verlobt, stell dir das doch mal vor!“, Z.45f.) und drohendem Lachen ihrerseits bringt sie den Skandal auf den Punkt, den sie in zynisch-ironischem, weil alle Beschimpfungen und Beleidigungen der Familie aufgreifenden Ton bekannt gibt.

Vater u. Mutter versuchen nun mit nur scheinbar positiven Äußerungen („ein netter Kerl“, Z.47; „menschlich angenehm … „als Hausgenosse oder so“, Z.49f. und “Er hat keinen üblen Eindruck auf mich gemacht“, Z.51) zu beschwichtigen, ohne Kritik am bisherigen Verlauf des Gesprächs zu üben. Am Ende der KG sieht Rita „gezähmte Lippen“ (Z.52) bei den anderen. Sie werden rot im Gesicht, senken die Köpfe (Z.52f.) und wirken schuldbewusst. Unklar bleibt, wie lange die Zähmung anhält!

(Die Situation „Abendessen“ beeinflusst den Gesprächsverlauf insofern, als die Personen hierbei eher zu Geschwätzigkeit neigen, während das Gesprächsthema eine ernste Behandlung erfordert – ein Hauptgrund für die wohl von allen nicht beabsichtigte Eskalation.)

Die Kommunikation misslingt hier völlig, da keiner auf den anderen sinnvoll oder rücksichtsvoll eingeht, selten ein ruhiger, freundlicher Umgangston herrscht, der abwesende Gast und damit Rita ständig abgewertet und gedemütigt werden, unsachlich argumentiert wird, andere nicht akzeptiert werden, die Personen nicht aktiv und hilfreich zuhören, Ritas Körpersprache missachtet wird, Gefühle und Bedürfnisse rücksichtslos geäußert und negative Zielsetzungen (z.B. von Nanni) verfolgt werden.

2. Ersatz misslungener Äußerungen durch Verbesserungsvorschlag und Begründung

1) Z.3f.:   Die Mutter sollte Nanni wegen ihrer Abwertung tadeln, diese nicht noch verstärken und etwas Positives über ihn sagen.

Z.B.: „Nanni, über andere in deren Abwesenheit herzuziehen, ist sehr unfair!! Ich finde ihn sehr nett, Rita. Man kann sich sehr gut mit ihm unterhalten!“ Damit wird Nanni zurechtgewiesen und Rita nicht ab-, sondern aufgewertet.

2) Z.18f.: Milene möchte ihre ältere Schwester unterstützen, wertet Ritas Bekannten aber unbewusst ab („Insichruhendes …, so ganz nett …, komischerweise“). Sie sollte besonders Abwertendes („komischerweise“, „so ganz nett“) weglassen

Z.B.: „Auf mich hat er sehr gelassen, ausgeglichen und sympathisch gewirkt!“

3) Z.47-51: Auch der Vater möchte und sollte etwas Positives sagen. „… ja ein netter Kerl“, „Keinen üblen Eindruck“, „höflich … das muss man ihm lassen“ sind aber in Wahrheit keine Aufwertungen, sondern Abschwächungen seiner positiven Absichten.

Z.B.: „Auf mich hat er einen charmanten Eindruck gemacht. Er hat auch gute Manieren.“

4) Z.34f.: Mutter muss energischer wirken und Nanni tadeln.

Z.B.:  „Schluss jetzt mit der Lästerei. Das gilt ganz besonders für dich, Nanni!

3. Nonverbales Verhalten bei  a) Nanni,  b) Rita + Wirkung auf Gesprächsverlauf

a) Ritas Körperhaltung („hielt sich am Sitz fest“, „drückte die Fingerkuppen fest ans Holz“, Z.17) zeigt, dass dieses Gespräch für sie wie eine Folter ist. Alle lachen Rita aus, was ihre Gefühle von Erniedrigung und Angst sehr verstärkt („Das Holz unter Ritas Fingerkuppen wurde klebrig“, Z.28) und zu einem hilflosen Entlastungsversuch („Seine Mutter ist nicht ganz gesund“, Z.28f.) führt.

b) Nanni „stieß einen winzigen Schrei aus u. warf die Hände auf den Tisch; die Messer und Gabeln auf den Tellern klirrten“. (Z.20f.). Damit zieht sie alle Aufmerksamkeit auf sich und verstärkt die Wirkung ihrer verbalen Abwertungen (Z.20-22).

„Sie schnaubte aus der kurzen Nase, ihr kleines Gesicht sah verquollen aus vom Lachen“ (Z.14-16). Auch dies soll die verbal geäußerte Lächerlichkeit des Aussehens von Ritas Bekannten unterstreichen.

Nanni, „ … seufzte und rieb sich den kleinen Bauch …“ (Z.36). Auch damit will sie körpersprachlich verdeutlichen, dass dessen Aussehen kaum zu ertragen und zum Totlachen ist.

4. Dialogverhalten der Personen, soziale Rollen + Bedeutung für Dialogverlauf

a) Mutter füllt ihre soziale Rolle (verständnisvoll, liebevoll, einfühlsam) nicht aus. Sie reagiert sehr unsensibel auf Nannis Abwertungen sowie Kränkungen Ritas und verstärkt diese noch (z.B. auslachen). Ihr schwaches ‘Machtwort’ (Z.34f.) verpufft wirkungslos.

b) Vater füllt seine soziale Rolle (Streit beenden, Fehlverhalten rügen usw.) auch nicht aus, wirkt hilflos und wertet Gast unbewusst ab.

c) Rita wird von Nanni in ihrer Rolle als ältester Schwester angegriffen und gedemütigt. Da ihre Eltern sie im Stich lassen, kann sie sich nur mit heftiger verbaler Aggression gegen die ständigen Kränkungen wehren und ihre Rolle als älteste Schwester und Tochter behaupten.

d) Milene versucht als mittlere Schwester eine vermittelnde Rolle einzunehmen, was ihr aber misslingt (Z.18). Auch sie lacht Rita aus.

e) Nanni als Jüngste in der Familie versucht, mit pubertärem Verhalten Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie ergreift die Gelegenheit, ihre älteste Schwester ungestraft zu demütigen (Geschwisterrivalität) und ihr einmal überlegen zu sein.

Da besonders die Eltern ihre sozialen Rollen nicht richtig wahrnehmen und Nannis Fehlverhalten nicht rügen, kann diese mit ihren Abwertungen den gesamten Gesprächsverlauf negativ beeinflussen. Rita kann ihre Autorität als ältere Schwester nicht ausspielen, da sie wohl selbst unter dem offensichtlichen Übergewicht ihres Verlobten leidet, die Familie schon vorher entsprechend informiert hat und daher dem beißenden Spott Nannis hilflos ausgeliefert ist. Nur mit einem verbalen Kraftakt gelingt es ihr, Nanni, aber auch die anderen vorerst zum Schweigen zu bringen.

7. Loriot: Das Ei (1977)

Er: Berta!
Sie: Ja …
Er: Das Ei ist hart!
Sie: (schweigt)
Er: Das Ei ist hart!!!
Sie: Ich habe es gehört …
Er: Wie lange hat das Ei denn gekocht?
Sie: Zu viele Eier sind gar nicht gesund!
Er: Ich meine, wie lange dieses Ei gekocht hat …?
Sie: Du willst es doch immer viereinhalb Minuten haben …
Er: Das weiß ich …
Sie: Was fragst du denn dann?
Er: Weil dieses Ei nicht viereinhalb Minuten gekocht haben kann!
Sie: Ich koche es aber jeden Morgen viereinhalb Minuten.
Er: Wieso ist es dann mal zu hart und mal zu weich?
Sie: Ich weiß es nicht … ich bin kein Huhn!
Er: Ach! … Und woher weißt du, wann das Ei gut ist?
Sie: Ich nehme es nach viereinhalb Minuten heraus, mein Gott!
Er: Nach der Uhr oder wie?
Sie: Nach Gefühl … eine Hausfrau hat das im Gefühl …
Er: Im Gefühl? Was hast du im Gefühl?
Sie: Ich habe es im Gefühl, wann das Ei weich ist …
Er:  Aber es ist hart … vielleicht stimmt da mit deinem Gefühl was nicht …
Sie: Mit meinem Gefühl stimmt was nicht? Ich stehe den ganzen Tag in der Küche, mache die Wäsche, bring deine Sachen in Ordnung, mache die Wohnung gemütlich, ärgere mich mit den Kindern rum und du sagst, mit meinem Gefühl stimmt was nicht?
Er: Jaja … jaja … jaja … wenn ein Ei nach Gefühl kocht, kocht es eben nur zufällig genau

viereinhalb Minuten.
Sie: Es kann dir doch ganz egal sein, ob das Ei zufällig viereinhalb Minuten kocht … Hauptsache, es kocht viereinhalb Minuten!
Er: Ich hätte nur gern ein weiches Ei und nicht ein zufällig weiches Ei! Es ist mir egal, wie lange es kocht!
Sie: Aha! Das ist dir egal … es ist dir also egal, ob ich viereinhalb Minuten in der Küche schufte!
Er: Nein – nein …
Sie: Aber es ist nicht egal … das Ei muss nämlich viereinhalb Minuten kochen …
Er: Das habe ich doch gesagt …
Sie: Aber eben hast du doch gesagt, es ist dir egal!
Er: Ich hätte nur gern ein weiches Ei …
Sie: Gott, was sind Männer primitiv!
Er: (düster vor sich hin) Ich bringe sie um … morgen bringe ich sie um!

8. Loriot: Garderobe (1977)

Ein Ehepaar: Mann (M) und Frau (F)
F:  Wie findest du mein Kleid?
M: Welches?
F:  Das ich anhabe.
M: Besonders hübsch.
F:  Oder findest du das grüne schöner?
M: Das grüne?
F:  Das Halblang mit dem spitzen Ausschnitt.
M: Nein.
F:  Was ’nein‘?
M: Ich finde es nicht schöner als das was du anhast.
F:  Du hast gesagt, es stünde mir so gut.
M: Ja. Es steht dir gut.
F:  Warum findest du es dann nicht schöner?
M: Ich finde das was du anhast sehr schön und das andere steht dir auch gut.
F:  Ach. Dies hier steht mir also nicht so gut?
M: Doch. Auch.
F:  Dann zieh ich das lange blaue mit den Schößchen noch mal über.
M: Ahja.
F:  Oder gefällt dir das nicht?
M: Doch.
F:  Ich denke, es ist dein Lieblingskleid?
M: Ja.
F:  Dann gefällt es dir doch besser als das was ich anhabe und das halblange grüne mit dem spitzen Ausschnitt.
M: Ich finde du siehst toll aus in dem was du anhast.
F:  Komplimente helfen mir im Moment überhaupt nicht.
M: Gut, dann zieh das lange blaue mit den Schößchen an.
F:  Du findest also gar nicht so toll was ich anhabe!
M: Doch, aber es gefällt dir ja scheinbar nicht.
F:  Es gefällt mir nicht? Es ist das schönste was ich habe.
M: Dann behalt es doch an.
F:  Eben hast du gesagt, ich soll das lange blaue mit den Schößchen anziehen.
M: Du kannst das blaue mit den Schößchen anziehen, oder das grüne mit dem spitzen Ausschnitt, oder das was du anhast.“