Lyrik allgemein

Was ist Lyrik?

Lyrik gehört neben Epik und Dramatik zu den 3 Gattungen der Literatur. Diese subjektivste aller Gattungen setzt meist das Vorhandensein eines lyrischen Ichs oder eines Gedichtsprechers als Medium voraus, durch das es den Leser anspricht.

Der Begriff Lyrik stammt vom griechischen „Lyra“ (= Leier) ab, was mit der Lyra begleitete Gesänge meinte. Bei den Griechen bestand Lyrik vorwiegend aus festlichen (Chor-)Liedern, die zur Leier gesungen wurden. Allgemein ist Lyrik alles in Gedichtform Geschriebene und Überlieferte. Die lyrische Form ist meist kurz, eine Gliederung erfolgt in der Regel in Versen und Strophen. Lyrik ist nicht unbedingt an Reim und eine bestimmte rhythmische Gestaltung gebunden. Das Vorhandensein eines strukturierenden Versmaßes und/oder eines Reims war zwar bis ins 20. Jahrhundert vorherrschend, moderne Texte arbeiten jedoch auch mit freien Versen und mit freien Rhythmen. Wichtig für die Zuordnung eines lyrischen Textes sind:

  • Bildhaftigkeit
  • Besondere sprachliche Ausdrucksmittel
  • Klangreichtum, Stimmungshaftigkeit und Rhythmus-Betontheit,
  • Assoziationsreichtum
  • Aus- bzw. Ansprechen von Empfindungen
  • Lyrischer Sprecher

Als freie Rhythmen bezeichnet man reimlose, metrisch ungebundene Verse mit beliebiger Silbenanzahl und unterschiedlich vielen Hebungen und Senkungen, die dennoch einen bestimmten Rhythmus aufweisen. Im Unterschied zur Prosa sind Korrespondenzen in der Verteilung der Hebungen erkennbar. Freie Rhythmen erscheinen in Gedichten ohne feste Strophenform, die Verse können aber dennoch in Versgruppen gegliedert sein. Bei gleicher Länge der Gruppen spricht man dann von einer Gliederung in Scheinstrophen.

Als freier Vers werden in der Verslehre Formen des Verses bezeichnet, die auf jegliche metrische und klangliche Bindung verzichten. Er entwickelte sich im 19. Jh. und ist die seit dem 20. Jh. in der Lyrik dominierende Versgattung (s. auch Konkrete Poesie oder Nonsens-Lyrik).

Natürlich kann und will ich mich als Hobby-Lyriker, der ich nur in meiner – in Wahrheit gar nicht vorhandenen – Freizeit vorwiegend Limericks, Schüttelreime und Nonsens-Lyrik dichte, nicht mit den zahllosen Dichtergrößen messen. Allerdings spüre ich ebenfalls, welche unglaublichen Entfaltungs-, Ausdrucks- und Empfindungsmöglichkeiten Lyrik bietet.

Um es mit Wilhelm Busch zu sagen:

Oh, wie beglückt ist doch ein Mann

Wenn er Gedichte machen kann!

(Sein ganzes Gedicht s.u.)

Es folgen zunächst zwei moderne Lyriktexte, die zeigen, welch ungewöhnliche Ausdrucksformen von heutigen LyrikerInnen gewählt werden. Danach folgt das wunderbare Gedicht von Wilhelm Busch.

Weitere Gedichte finden sie auch unter Alltags- und Liebeslyrik (mit ausführlicher Interpretation).

Maren Kames (2013)

O

( ) Finde mich, auf der Oberfläche des Planeten liegen, die Knie angewinkelt,

und der Wind fährt mir unter den Rücken, in den Mund und zwischen die Beine und der Wind sagt mir, wo mein Körper aufhört und die Luft anfängt, die ganze Luft, und unter mir das submarine Schimmern, der Himmel ist eine relativ weitläufige Angelegenheit, er muss hier gleich in der Nähe sein, aber eine Verbindung kommt momentan nicht zustande.

Ich bin ein System aus Rohren, vielleicht, die aneinander beginnen und ineinander enden,

durch die der Wind geht, sonst nichts.

Michael Lentz

Vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so

(1987)

(Anagrammatische Sprechakt-Variationen einer These von Georg Büchner)

vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch so nicht.

vielleicht. so ist es. vielleicht. aber ist es auch? so nicht.

vielleicht. ist es so? vielleicht. ist es aber auch so nicht.

vielleicht ist es. so! vielleicht ist es. aber. auch. nicht. so.

vielleicht. ist es so, vielleicht. istesaberauch nicht so.

vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so.

vielleicht, vielleicht! so ist es, aber auch so ist es nicht.

vielleicht-vielleicht! so ist es auch nicht, aber so ist es.

leicht, soviel ist es, ist es aber vielleicht auch nicht.   so

leichtes ist so viel, aber vielleicht eist auch so nichts.

vieles eist so leicht, aber vielleicht ist auch so nichts.

so. vielleicht ist es viel, aber auch so ist es nicht leicht.

soso, aber ist es vielleicht auch vielleicht? ist es nicht?

so ist es viel, so ist es leicht, vielleicht aber auch nicht.

so leicht ist es nicht! vielvielleicht ist es aber auch so.

ist es auch viel so, leicht so, aber leicht ist es nicht viel.

aber es ist so. auch vielleicht ist vieles nicht so leicht.

ist es vielleicht auch bar so, vielen ist seicht so leicht.

vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber so auch nicht.

so es auch nicht ist, vielleicht, ist es aber vielleicht so:

so es aber vielleicht so ist, ist „vielleicht“ auch nicht „es“.

so es aber vielleicht so ist, ist es auch nicht „vielleicht“.

seit leichtes so viel ist, vielleicht aber auch so nichts,

ist es nicht so leicht, aber auch so ist es vielleicht viel.

aber es ist so. auch vielleicht ist viel nicht so leicht.   es

ist aber so es. vielleicht ist es auch nicht so vielleicht.

so es aber vielleicht nicht ist, ist es vielleicht auch so.

auch so ist es, nicht viel, aber es ist vielleicht leicht. so!

so viel, so leicht; ist es, ist es vielleicht aber auch nicht.

es ist soviel licht. vielleicht eist es aber auch nicht so.

leicht ist es viel so, aber auch viel ist es nicht so leicht.

Mein Fazit: Schwer ist leicht was

Wilhelm Busch (1874)

.

Wie wohl ist dem, der dann und wann

Sich etwas Schönes dichten kann.

Der Mensch, durchtrieben und gescheit

Bemerkte schon zu alter Zeit

Dass ihm hienieden allerlei

Verdrießlich und zuwider sei

Die Freude flieht auf allen Wegen

Der Ärger kommt uns gern entgegen

Gar mancher schleicht betrübt umher

Sein Knopfloch ist so öd und leer

Für manchen hat ein Mädchen Reiz

Nur bleibt die Liebe seinerseits

Doch gibt’s noch mehr Verdrießlichkeiten

Zum Beispiel lässt sich nicht bestreiten

Die Sorge, wie man Nahrung findet

Ist häufig nicht so unbegründet

Kommt einer dann und fragt: „Wie geht’s?“

Steht man gewöhnlich oder stets

Gewissermaßen peinlich da

Indem man spricht: „Nun, so lala!“

Und nur der Heuchler lacht vergnüglich

Und gibt zur Antwort: „Ei, vorzüglich!“

Im Durchschnitt ist man kummervoll

Und weiß nicht, was man machen soll

Nicht so der Dichter. Kaum missfällt

Ihm diese alt geback‘ne Welt,

So knetet er aus weicher Kleie

Für sich privatim eine neue

Und zieht als freier Musensohn

In die Poetendimension

Die fünfte, da die vierte jetzt

Von Geistern ohnehin besetzt

Hier ist es luftig, duftig schön

Hier hat er nichts mehr auszusteh‘n,

Hier aus dem mütterlichen Busen

Der ewig wohlgenährten Musen

Rinnt ihm der Stoff beständig neu

In seine saub‘re Molkerei.

Gleichwie die brave Bauernmutter

Tagtäglich macht sie frische Butter

Des Abends spät, des morgens frühe

Zupft sie am Hinterleib der Kühe

Mit kunstgeübten Handgelenken

Und trägt, was kommt, zu kühlen Schränken

Wo bald ihr Finger, leicht gekrümmt

Den fetten Rahm, der oben schwimmt

Beiseite schöpft und so in Masse

Vereint im hohen Butterfasse.

Jetzt mit durchlöchertem Pistille

Bedrängt sie die geschmeid‘ge Fülle.

Es kullert, bullert, quietscht und quatscht

Wird auf und nieder durchgematscht

Bis das geplagte Element

Vor Angst in Dick und Dünn sich trennt

Dies ist der Augenblick der Wonne

Sie hebt das Dicke aus der Tonne

Legt’s in die Mulde, flach vom Holz

Durchknetet es und drückt und rollt’s

Und sieh, in frommen Händen hält se

Die wohlgerat‘ne Butterwälze.

So auch der Dichter. – Stillbeglückt

Hat er sich was zurechtgedrückt

Und fühlt sich nun in jeder Richtung

Befriedigt durch die eigne Dichtung

Doch guter Menschen Hauptbestreben

Ist, andern auch was abzugeben

Dem Dichter, dem sein Fabrikat

Soviel Genuss bereitet hat,

Er sehnt sich sehr, er kann nicht ruh‘n,

Auch andern damit wohlzutun

Und muss er sich auch recht bemüh‘n,

Er sucht sich wen und findet ihn

Und sträubt sich der vor solchen Freuden

Er kann sein Glück mal nicht vermeiden

Am Mittelknopfe seiner Weste

Hält ihn der Dichter dringen feste

Führt ihn beiseit‘ zum guten Zwecke

In eine lauschig stille Ecke

Und schon erfolgt der Griff, der rasche

Links in die warme Busentasche

Und rauschend öffnen sich die Spalten

Des Manuskripts, die viel enthalten

Die Lippe sprüht, das Auge leuchtet

Des Lauschers Bart wird angefeuchtet

Denn nah und warm, wie sanftes Flöten

Ertönt die Stimme des Poeten. –

„Vortrefflich!“ ruft des Dichters Freund

Dasselbe, was der Dichter meint

Und, was er sicher weiß zu glauben

Darf sich doch jeder wohl erlauben

Wie schön, wenn dann, was er erdacht

Empfunden und zurecht gemacht

Wenn seines Geistes Kunstprodukt

Im Morgenblättchen abgedruckt

Vom treuen Kolporteur geleitet

Sich durch die ganze Stadt verbreitet:

Das Wasser kocht. – In jedem Hause

Hervor aus stiller Schlummerklause

Eilt neu gestärkt und neu gereinigt

Froh grüßend, weil aufs neu geeinigt

Hausvater, Mutter, Jüngling, Mädchen

Zum Frühkaffee mit frischen Brötchen

Sie alle bitten nach der Reihe

Das Morgenblatt sich aus das neue

Und jeder stutzt und jeder spricht:

„Was für ein reizendes Gedicht!“

Durch die Lorgnetten, durch die Brillen

Durch weit geöffnete Pupillen

erst in den Kopf, dann in das Herz

Dann kreuz und quer und niederwärts

Fließt’s und durchweicht das ganze Wesen

Von denen allen, die es lesen

Nun lebt in Leib und Seel‘ der Leute

Umschlossen vom Bezirk der Häute

Und andern warmen Kleidungsstücken

Der Dichter fort, um zu beglücken

Bis dass er schließlich abgenützt

Verklungen oder ausgeschwitzt

Ein schönes Los! Indessen doch

Das allerschönste blüht ihm noch

Denn Laura, seine süße Qual

Sein Himmelstraum, sein Ideal

Die glühend ihm entgegenfliegt

Besiegt in seinen Armen liegt

Sie flüstert schmachtend inniglich:

„Göttlicher Mensch, ich schätze dich!

Und dass du so mein Herz gewannst

Macht bloß, weil du so dichten kannst!“

Oh, wie beglückt ist doch ein Mann

Wenn er Gedichte machen kann!